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0101 - Die Menschentiger

0101 - Die Menschentiger

Titel: 0101 - Die Menschentiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franc Helgath
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bemerkte jetzt erst, daß ihre Augen etwas schräg standen und gelblich funkelten. Die Pupille schien ihm ein Spur oval, was die Katzenähnlichkeit ihres Gesichts noch vertiefte. Ihr Kinn war spitz und wurde von einem Grübchen geziert, und ihre Nasenflügel kamen ihm vor, als wären sie aus wertvollem, farbigem Marmor gemeißelt. Von der Frau ging ein betörender Duft nach Frische und Wildheit aus.
    Nicole war weniger von irgendwelchen Verdachten und Gedanken geplagt. Zum wiederholten Male fragte sich Professor Zamorra, wie sie sich ihre anmutige Figur erhalten konnte, wenn sie dermaßen aß.
    Gesättigt hätte Zamorra sich anschließend ein wenig zurückgelehnt, wenn die Sitzgelegenheit es erlaubt hätte. Nicole tupfte sich die vollen roten Lippen ab und stöhnte wohlig. Sie fand das Leben wieder angenehm. Und damit verfiel sie auch auf die Idee, Fragen zu stellen.
    Doch ihre Gastgeberin kam ihnen beiden zuvor.
    »Wir erwachten heute morgen etwas später«, sagte sie, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. »Ich glaubte, in der Ferne eine treibende Moosinsel mit zwei Menschen darauf zu erkennen, aber sie war schon so weit entfernt, daß ich mir nicht ganz sicher war. Schließlich hielt ich die Ungewißheit nicht mehr aus und bat meine Mutter nachzusehen.«
    Daran war natürlich kein Wort wahr. Shurina gab sich auch gar keine Mühe zu irgendeiner plausibleren Erklärung und wäre sie noch so weit hergeholt gewesen. Wie sie das Mahl vorbereitet hatte — alles sprach dafür, daß siegest mit Gästen gerechnet hatte.
    Doch unerschüttert fuhr sie fort. »Meine Mutter stieg also ins Boot…«
    »Ihre Mutter ist blind«, unterbrach Zamorra sie. »Wie konnte sie nach uns suchen?«
    Shurina schenkte ihm eines jener entschuldigenden Lächeln, das eine gütige Lehrerin auf ihre Züge zaubert, wenn sie nachsichtig einen unbotmäßigen Schüler wegen einer Dummheit tadeln will.
    Sie zuckte leicht mit ihren schmalen, grazilen Schultern.
    »Blind?« meinte sie. »Natürlich ist Khube blind. Aber sie hört besser als die modernsten Richtmikrophone, die Ihre Kriminalisten benützen.« Sie sah, wie Zamorras Augenbrauen erstaunt hochruckten.
    »Sie brauchen sich nicht darüber zu wundern, wenn ich das weiß, Mr. Zamorra. Ich habe viele Jahre in den Vereinigten Staaten von Amerika verbracht. Ich habe dort studiert. Und warum ich jetzt hier im Dschungel lebe?«
    Ihr Gesicht verschloß sich. Wenn der bittere Zug in ihren Mundwinkeln gespielt war, dann spielte sie ihn ausgezeichnet.
    »Zu jener Zeit, als Bangladesh noch Ostpakistan hieß«, fuhr sie fort, »gehörten wir einer der bestsituierten Familien an.« Ein weiteres, diesmal schmerzliches und bedauerndes Schulterzucken. »Was soll ich noch viel davon sagen? Leider glückte uns die Flucht ins Ausland nicht. Die männlichen Mitglieder unserer Familie wurden hingemordet, meine Mutter wurde geblendet und gequält, bis man uns schließlich aus dem Internierungslager warf. Wir suchten Zuflucht in den Sümpfen, und da haben Sie schon unsere ganze Geschichte. Wir haben uns hier ein wenig eingerichtet. Die Pagode wird nicht mehr, von Pilgern besucht. Vielleicht verstehen Sie etwas von der Baukunst des indischen Subkontinents. Dann werden Sie auch festgestellt haben, daß der Stil altdrawidisch ist. Das Land verändert sich hier ständig. Irgendwann wurde dieser Tempel von seinen Zufahrtswegen abgeschnitten und geriet in Vergessenheit. Zu unserem Glück. Aber erlauben Sie jetzt auch mir eine Frage? Wie hat es Sie in diese Gegend verschlagen?«
    Diese Frage empfand Zamorra nun als Gipfel aller Frechheit. Ihre Geschichte klang inzwischen gar nicht mehr so konstruiert, aber er wußte auch, daß die meisten erlogenen Geschichten oft wahrer klingen als die Wirklichkeit.
    »Haben Sie eine Expedition unternommen?« fragte Shurina voller Unschuld weiter. »Wurden Sie von Ihren Freunden abgetrennt?«
    »Ja«, antwortete der Professor nach einer Pause, und er bemühte sich nicht, den Sarkasmus in seiner Stimme zu unterdrücken. »Es ist genauso, wie Sie angenommen haben.«
    Shurina schenkte ihm eines ihrer berückenden, sphinxhaften Lächeln. Doch ihre schräggestellten Augen mit den ovalen Pupillen glitzerten kalt wie das Weltall.
    ***
    Auch Bill Fleming hatte gegessen. Das Mahl war reichhaltig gewesen. Irgendwo hatte sein Gastgeber sogar eine Dose Bier aufgestöbert. Das Gesöff war lauwarm, aber Bill bedankte sich dafür mit aller gebotenen Überschwenglichkeit, obwohl das Bier schon längst

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