0105 - Die Bestie von Soho
Es waren genau dreizehn Personen.
Sieben Frauen und sechs Männer.
Sie hatten sich zu einer Gruppe zusammengestellt, flüsterten miteinander und beachteten weder Suko noch Glenda Perkins.
Bis auf den Türabschließer war keiner der Diener zu sehen.
Trotzdem hatte Suko das Gefühl, von zahlreichen Augen belauert zu werden.
Glenda schien seine Gedanken zu erraten. »Die Kameras!« flüsterte sie. Suko schaute zur Decke.
Er sah mehrere künstliche Augen, die sie genau im Visier hatten.
Ein unbehagliches Gefühl beschlich den Chinesen. Er kam sich plötzlich vor wie in einer großen Gruft.
Die ratternden Geräusche schreckten alle auf.
Und jeder blickte zu den hochgelegenen großen Fenstern. Dort fielen eiserne Rollos herunter und schlossen fugendicht ab.
»Jetzt ist die Rattenfalle perfekt«, meinte der Chinese.
»Ich habe Angst«, hauchte Glenda.
»Das kann ich verstehen.« Wohl fühlte sich Suko auch nicht. Er hatte sowieso einen schlimmen Verdacht. Wenn diese Bestie von Soho tatsächlich aus dem Bild gekommen war, konnte es durchaus sein, daß sich die Horrorfiguren der anderen Gemälde auch selbstständig machten. Dann würde es zur Panik kommen.
Nur noch die Spotlights brannten, die anderen Lampen und Glühbirnen waren verlöscht.
»Laß uns zu den anderen gehen«, schlug Glenda vor, und Suko war einverstanden.
Der überwiegende Teil des Raumes lag im Dunkeln. Nur die angestrahlten Bilder bildeten helle Lichtinseln.
Die Besucher schauten den beiden Neuen entgegen. Glenda lächelte ein wenig verkrampft. »Wann ist es soweit?« fragte sie.
»Um Mitternacht wird der Meister mit uns reden«, antwortete eine etwa dreißigjährige Frau, und ihre Augen leuchteten dabei.
»Der Meister?«
»So nennen wir ihn doch.«
Dann redete Suko. »Habt ihr euch schon eure Fragen ausgedacht?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Eine andere meinte: »Was sollen wir ihn denn fragen? Wir wissen doch alles. Wir warten nur auf die Erleuchtung.«
»Und die wird euch oder uns der Meister geben.«
»Unter anderem.«
»Was denn noch?« wollte Suko wissen.
»Der Teufel«, bekam er die flüsternde Antwort. »Satan ist überall, und wir werden einen Blick in seine Welt werfen. Durch diese Bilder, die uns das gestatten.«
Suko schluckte. »Ja, das hatte ich mir schon gedacht.«
»Aber das ist ja schrecklich!« hauchte Glenda. Ihre Worte waren gehört worden.
»Es ist nicht schrecklich, Schwester. Es ist die Erfüllung. Schau dir die Bilder doch an, wie echt sie sind. Das ist das Leben in der Hölle! Sind sie nicht von einer nahezu phantastischen Schönheit? Und wir sind auserwählt, das miterleben zu dürfen. Der Meister wird uns das Tor zu ihm öffnen.«
Einen Teil der Lösung wußte Suko jetzt bereits. Sie hatten es mit einem Satanszirkel zu tun, aber einem ganz besonderen, wie sich herausstellen sollte. Über realistisch gezeichnete Bilder nahmen diese Verirrten Kontakt mit der Hölle auf.
Suko hatte selbst schon Dimensionsreisen gemacht und wußte, wie es in den Reichen des Grauens aussah. Da hatte Golo Gulerian nicht übertrieben gemalt. Jeder Pinselstrich drückte einen harten Realismus aus.
Der Chinese warf einen Blick in die Runde, schaute wieder die Bilder an und hatte das Gefühl, als würden sie ein Eigenleben führen. Vielleicht machte das auch nur das Wechselspiel zwischen Licht und Schatten.
Plötzlich ertönte ein Gong.
Er hallte noch lange nach.
Ein Raunen strich durch den Raum. Die meisten Augen bekamen einen noch stärkeren Glanz.
»Jetzt kommt der Meister«, wisperte eine Frau mit ehrfurchtsvoller Stimme…
***
Ein Zitat aus Goeths Faust fiel mir ein. ›Da steht ich nun, ich armer Tor und bin so klug als wie zuvor‹.
Nun, etwas klüger war ich schon. Die für mich aufgestellte Todesfalle hatte nicht zugeschnappt, und das wußten meine Gegner bestimmt noch nicht, denn sonst hätten sie schon längst Gegenmaßnahmen ergriffen.
Ich aber mußte erst einmal aus dieser verdammten Halle. Die Dunkelheit empfand ich als großes Hindernis, und ebenfalls als Hindernis sah ich die Stabilität der Tür an. Es würde mir nicht gelingen, sie aufzubrechen.
Noch einmal versuchte ich es. Ohne Erfolg. Die Tür war und blieb verschlossen.
Es blieb mir nichts anderes übrig, als zu warten, bis die Kuttenträger mit ihrem Chef kamen, um nachzusehen, was wohl mit mir geschehen war.
Das konnte dauern.
Ich machte mir auch Gedanken um Glenda Perkins. Schließlich war sie mit mir gekommen und ebenfalls eine Zeugin. Man
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