0108 - Mord auf Tonband
staatlichen Kunstgalerie vermachte. Seine Schwester, die seihst alles andere als arm war, focht dieses Testament an und hatte es sogar fertiggebracht, sämtliche Wertgegenstände heimlich, auf die Seite zu schaffen. Jedenfalls stand ein saftiger Prozeß in Aussicht.
Eine Woche später erhielt ich einen unerwarteten Anruf von Mr. Brisbane.
»Ich brauche Ihren Rat«, sagte er. »Ich erzählte Ihnen doch, von Julie, die zur Beerdigung ihrer Tante weggefahren war und nach drei Tagen wiederkommen sollte. Sie ist nicht wiedergekommen, und als ich ihr gestern nach Hudson Falls telegrafierte, bekam ich das Telegramm als unbestellbar zurück. Was mache ich nur, um sie aufzutreiben?«
»Haben Sie sie zu Hause angerufen oder jemand hingeschickt? Vielleicht liegt sie krank?«
»Dann hätte sie sich auf alle Fälle gemeldet. Sie glauben nicht, wie pflichteifrig das Mädchen ist. Wenn sie weder kommt noch etwas von sich hören läßt, so bleibt nur die Möglichkeit, daß ihr etwas zugestoßen ist.«
»Warum wenden Sie sich dann nicht an die City Police?« fragte ich ihn. »Habe ich getan, aber die meinten, ich solle zuerst noch ein paar Tage zusehen. Es komme so oft vor, daß Mädel für einige Zeit verschwinden und dann ebenso plötzlich wieder auftauchen. Damit aber ist mir nicht gedient, ich brauche Julie.«
»Und da soll das FBI sie für Sie suchen?« lachte ich. »Meinen Sie denn, wir hätten nichts Besseres zu tun?«
Er war sehr böse, aber ich konnte ihm nicht helfen. Wir sind ja schließlich nicht dazu da, um ausgerückte Sekretärinnen, und seien sie noch so tüchtig, einzufangen.
Am Nachmittag hatte ich etwas auf dem Broadway, nicht weit vom Central Park, zu tun, und dabei passierte ich auch die 44ste Straße. Julie, Mr. Brisbanes Sekretärin, fiel mir ein, und so fragte ich den Verkehrspolizisten, wo es hier ein Junggesellenheim für Mädchen gäbe.
»Das ist ganz in der Nähe. Nur einen halben Block nach Westen. Ich glaube, es hat die Nummer 212.«
Ich beschloß, mich einmal umzusehen. Wahrscheinlich war das Mädchen zu Hause und schäkerte mit ihrem Freund.
»Ich möchte zu Miß Cain. Wohnt sie bei Ihnen?« fragte ich den Hauswart.
»Gewiß, sie wohnt hier, aber ich habe sie über eine Woche nicht mehr gesehen. Es ist Zimmer Nummer 405. Soll ich Sie hinauf fahren?«
Nun war ich schon einmal da. Ein Versuch konnte nichts schaden. An 405 klopfte ich, und als sich niemand meldete, wiederholte ich das. Dann hörte ich etwas. Niemand rief herein oder etwas Derartiges, aber ich vernahm ein leises, klagendes Mauzen. Es konnte eine Katze, es konnte aber auch ein schwerkranker Mensch .sein.
»Haben Sie einen Schlüssel?« fragte ich, und als der Hauswart mich dumm ansah, zeigte ich ihm meinen Ausweis. Die kleine Wohnung hatte nur einen Raum, eine Kochnische und ein Bad. Sie war leer, und es roch dumpf, als ob sie lange nicht gelüftet worden sei. Julie Cain war keinesfalls zu Hause, und sie war bestimmt auch längere Zeit nicht dagewesen. In diesem Augenblick hörte ich wieder das leise, klägliche Mauzen. Ich bückte mich und blickte unter die Couch. Da lag ein junges Kätzchen, das so schwach war, daß es sich nicht mehr bewegen konnte. Ich holte das Tierchen heraus, ließ ein paar Tropfen Wasser in die Hand laufen, die -es gierig aufleckte. Dann klagte es wieder, aber diesmal schon etwas kräftiger.
»Sind Sie verheiratet?« fragte ich den Hausverwalter, und als er nickte, drückte ich ihm die Katze in die Hand. »Bringen Sie das arme Vieh zu Ihrer Frau.«
Als er abgerückt war, sah ich mich weiter um. Es gab eine Vase mit welken Blumen und zwei Topfpflanzen, die komplett vertrocknet waren. Es gab auch ein Goldfischglas, dessen Wasser stank und in dem drei tote Fische herumschwammen. Welche Frau, so überlegte ich, geht für längere Zeit aus ihrer Wohnung und läßt ihre Tiere zurück? Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie hatte schnell wiederkommen wollen und war daran gehindert worden, oder sie war nicht freiwillig gegangen. Das zweite schied aus, denn sie hatte sich ja von ihrem Chef Urlaub geben lassen. Ich durchstöberte Schränke und Schubladen, aber ohne jeden Erfolg. Es waren weder Kleider noch Wäsche da. Auch kein Koffer war vorhanden. Entweder Julie Cain hatte so wenige Besitztümer gehabt, daß diese gerade für eine dreitägige Reise genug waren, oder sie hatte vorgehabt, nicht zurückzukommen. Wenn das der Fall war, so stimmte aber das Loblied, das Mr. Brisbane auf sie gesungen hatte,
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