0112 - Die Drachensaat
Myxin reagierte sofort. Er schleuderte den halbmondförmigen Gegenstand auf mich zu, und bevor sich Rufus gedreht und überhaupt begriffen hatte, war eigentlich los war, da hielt ich die Waffe schon in der Hand. Rufus fuhr herum. Nicht sehr schnell, denn die schwere Rüstung behinderte ihn.
Er wollte noch in der Drehung zuschlagen, als ich den Bumerang schleuderte.
Die Distanz war gering, der Ritter kaum zu verfehlen. Die Waffe sang durch die Luft. Und sie traf!
Der silberne Bumerang sägte den Schädel des unheimlichen Ritters vom Rumpf. Ich hörte noch einen erstickt klingenden Schrei, dann rollte der Kopf nach links weg und fiel den Hang hinunter.
Der Körper kippte ebenfalls. Allerdings zur anderen Seite.
Schwer fiel er zu Boden und blieb liegen.
Hoch streckte ich den Arm und fing die zurückkehrende Waffe wieder auf.
Das war geschafft.
Rufus, der letzte der grausamen Ritter, existierte nicht mehr!
Ich sprang von der Mauer - und wäre fast hingefallen, so sehr zitterten mir die Knie.
Myxin kam mir entgegen, ein verloren wirkendes Lächeln lag auf seinem Gesicht.
Ich reichte ihm die Hand. »Danke«, sagte ich heiser, »ohne dich hätte es wieder bitter ausgesehen.«
Er winkte ab. »Ich war dumm, dass mir die Sache mit dem Bumerang nicht früher eingefallen ist.«
Ich steckte die Waffe wieder weg. »Aber gerade noch rechtzeitig. Und das ist die Hauptsache.«
Er nickte.
Ich schaute mich um, blickte auf die Rüstung. Beim Fall war ein Handschuh von den Fingern gestreift worden. Soeben lösten sich die letzten Reste der Hand auf. Die Knochen fielen zusammen, sie wurden zu Staub, den der Wind hochschleuderte und über den Burgplatz verteilte. Aus der Traum.
Ich hatte es tatsächlich geschafft. Die Ritter existierten nicht mehr.
Aber die Gefahr war nicht gebannt. Ich hatte von Barrabas gehört, wusste aber nicht, welches Grauen sich unten im Tal abspielte. Der Gedanke daran, dass finstere Mächte in Gulbine eine Hölle entfesselten, machte mich halb wahnsinnig.
»Wir müssen hier weg«, sagte ich zu Myxin. »Und zwar so schnell wie möglich.«
»Glaubst du eigentlich, dass du noch etwas retten kannst?« fragte er zurück.
Ich schaute ihn an. »Eins merke dir mal«, erwiderte ich.
»Solange man nicht gestorben ist, gibt es immer noch eine Hoffnung auf Rettung. Zudem ist Suko kein heuriger Hase. Er wird sich schon seiner Haut zu wehren wissen.«
»Ich habe da meine Zweifel«, meinte Myxin.
Die hatte ich ja auch, doch ich wagte nicht, die Worte offen auszusprechen. Ich wollte mir nicht selbst den Mut nehmen.
»Gehen wir«, schlug ich vor, »der Weg ist verdammt lang.«
Der kleine Magier wies zum Himmel. »Da.«
Ich folgte seinem ausgestreckten Zeigefinger, sah aber nichts, nur düstere Wolken.
»Sieh genauer hin!« forderte Myxin. »Zwischen den Rändern der beiden dicken Wolkenberge.«
Ja, jetzt sah ich es auch.
Es war ein dunklerer Punkt, der aussah wie ein Vogel, jedoch sehr schnell flog und rasch größer wurde.
Nein, ein Vogel war es nicht. Auch kein Adler oder Falke.
Mir rann ein kühler Schauer über den Rücken, und meine Lippen bildeten einen harten Strich.
Dieses Tier in der Luft war - ein Drache!
Ja, ein riesiges, urwelthaftes Tier mit zwei gewaltigen Flügeln, die es ausbreitete und sich von den Aufwinden tragen ließ.
»Barrabas«, flüsterte Myxin. Er nahm mir praktisch das Wort aus dem Mund.
Noch schien er uns nicht entdeckt zu haben. Er kreiste östlich der Burg.
Dort flog er seine gewaltigen Bogen, mal höher, mal tiefer.
Ich hatte ein ungutes Gefühl und schaute mich schon nach einer Deckung um.
Die Hälfte des Burghofes war eingesackt, die Trümmer lagen in den Gewölben, und auch der Eingang war verschüttet.
Wo konnten wir uns verstecken?
Plötzlich änderte der Drache seine Flugrichtung. Das geschah durch eine blitzschnelle Drehung, dann ein Schlag mit dem Flügelpaar, und einen Herzschlag später jagte er auf sein neues Ziel zu.
Das war die Burg - und damit auch wir!
***
Die Nervosität der drei Frauen steigerte sich von Minute zu Minute.
Immer häufiger blickte Shao auf die Uhr. Die Zeit verging, und von Suko keine Spur. Diana Redford stand am Fenster. In fast regelmäßigen Intervallen schob sie den Vorhang ein Stück zur Seite und blickte nach draußen. Zu sehen war nichts. Nur der Garten lag verlassen hinter dem Haus. Mrs. Redford hockte am Tisch, hatte die Ellbogen aufgestützt und beide Hände vor ihr Gesicht geschlagen. Sie war tief deprimiert. Noch
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