0120 - Die Stunde der Vampire
nach seinem Glas und trank es aus. Aber der Whisky schmeckte ihm nicht.
***
»S’il vous plaît, Messieurs«, sagte der dunkelhäutige Kellner und stellte den beiden Gästen den bestellten Bourbon hin.
Mit äußerstem Mißfallen registrierte Spencer Travis, daß er dabei seinen Daumen im Whisky badete, einen Daumen, den er wahrscheinlich zuletzt vor drei Tagen gewaschen hatte. Wenn überhaupt.
»Hau schon ab, du Affenarsch«, knurrte er unwillig.
Der Kellner verstand seinen Bronx-Jargon wohl nicht, denn er entfernte sich mit einem breiten Grinsen.
»Scheißnigger, Scheißinsel«, fluchte Travis und griff nach seinem Glas.
Warm natürlich. Diese Affen hatten wohl noch nicht gehört, daß es so etwas wie Eis gab. Travis machte seinem Unmut mit einer neuen Schimpfkanonade Luft.
Roscoe Flynn war nicht so cholerisch veranlagt wie sein Kollege. Er nahm die Dinge, wie sie kamen. Außerdem war er nicht zum ersten Mal auf Haiti.
»Pech, daß wir ausgerechnet hier in Les Cayes hängen müssen«, meinte er. »Hier ist es wirklich ein bißchen trostlos.«
Travis schniefte. »Ich denke, dieses Kaff ist die Hauptsadt des ganzen Departements, verdammt noch mal!«
»Schon richtig. Nur ist das Süddepartement die rückständigste Gegend des Landes. Es gibt auch Regionen, wo sich ganz schön was tut. Port-au-Prince zum Beispiel…« Flynn schnalzte mit der Zunge. »Klein-Paris, kann ich dir sagen. Weiber gibt’s da… Mann, da schnallst du ab. Warte ein paar Tage. Wenn wir hier fertig sind, sehen wir uns die Hauptstadt mal richtig an. Ich verspreche dir: du kommst schon noch auf deine Kosten.«
»Wenn wir nur erst fertig wären!« murrte Travis.
Das würde in der Tat noch ein Weilchen dauern. Travis und Flynn waren Beauftragte der Littlejohn Tobacco Company, die das Hochland des Massif de la Hotte nach anbauwürdigen Flächen untersuchen sollten. Bis jetzt hatten sie jedoch noch nichts gefunden, was ihren Vorstellungen entsprach.
Das Lokal, in dem sie saßen - es trug den hochtrabenden Namen Chez Napoleon gehörte zu den besseren Etablissements. Dabei war es nicht mehr als eine Spelunke, die Langeweile, schlechte Getränke und schlampige Bedienung zu bieten hatte. Es waren kaum Gäste da. Außer den beiden Amerikanern nur ein paar Einheimische, die sich in dem verräucherten Interieur allerdings ganz wohl zu fühlen schienen.
»Kleines Spielchen gefällig?« fragte Flynn und holte ein Kartenblatt aus der Tasche. »Wer verliert, muß einen davon trinken.« Er zeigte auf den warmen Bourbon, der aussah wie gefärbte Limonade und auch so ähnlich schmeckte.
»Na schön«, stimmte Travis widerwillig zu. »Vielleicht besser als hier…«
Er redete nicht weiter, blickte statt dessen zur Tür, durch die in diesem Augenblick zwei junge Frauen das Lokal betraten.
»Mensch, guck dir die an!« sagte Travis und pfiff leise durch die Zähne.
Die beiden Frauen waren das Ansehen wert. Jung waren sie, sehr jung sogar. Trotzdem waren sie so gut entwickelt, wie sich das ein Mann nur wünschen konnte. Ihre Haut, von der sie sehr viel zeigten, hatte die Farbe bitterer Schokolade. Es waren Mulattinnen, keine Negerinnen. Und ihre Gesichter wirkten ausgesprochen hübsch, fast ein bißchen europäisch.
»Verdammt nette Käfer«, sagte Travis heiser. Er verschlang die Mädchen regelrecht mit den Augen.
Die beiden blickten sich kurz im Lokal um und steuerten dann auf einen Tisch zu, der ganz in der Nähe der Amerikaner stand. Und das, obwohl noch mindestens zehn andere Tische frei waren. Travis entging nicht, daß die Mädchen unter ihren langen Wimpern verhangene Blicke zu ihm und seinem Kollegen herüberwarfen.
»Was meinst du, Roscoe?«, fragte er Flynn. »Ist bei denen was gekocht?«
»Sicher. Was meinst du, warum die hier reingekommen sind?«
»Du glaubst, es sind… Nutten?«
»Na klar!«
»Die gibt’s hier?« wunderte sich Travis. »Ich denke, die Republik Haiti ist ein stockkatholisches Land.«
»Und und? Prostitution ist hier offiziell erlaubt. Irgendwie muß Baby Doc ja an seine Devisen kommen. Außerdem ist das mit dem Katholizismus so eine Sache. Die meisten Haitianer gehören zwar der Kirche an, in ihrem Herzen aber spielt der Voodookult die große Geige.«
»Soll mir piepegal sein«, meinte Travis. »Viel interessanter sind die Weiber. Was ist - schmeißen wir uns ran?«
»Nichts dagegen.«
Roscoe Flynn übernahm die Initiative. Viel brauchte er da gar nicht zu tun. Ein breites Lächeln, ein Winken, und schon
Weitere Kostenlose Bücher