0129 - Der Zyklop aus der Hölle
den Mund aufzumachen.
Ich schaute ihn nur an.
Er sah fast normal aus. Sein Gesicht, die beiden Augen – aber zwischen der Stirn sah ich einen Abdruck des dritten.
Er stand also noch immer unter dem Bann des Zyklopen.
Wenn er jetzt schoß, dann war ich verloren, aber er überlegte es sich und ließ nur den Zeigefinger am Abzug, ohne ihn zurückzuziehen.
Und langsam wich die Lähmung. Ich konnte plötzlich wieder meine Fingerspitzen bewegen, ja, sogar die Hand. In meinem Körper kribbelte es, ein Gefühl, das quer über den Rücken lief und auch höher wanderte, bis es die Schultern und den Hals erreichte.
Ich hätte schreien können vor Freude. Statt dessen tat ich nichts und blieb ruhig liegen.
Der Kerl vor mir durfte nichts merken.
Ich schielte an ihm vorbei auf die Tür. Ein Schatten tauchte dort auf.
Es war Karl Merkens. Er kam ins Zimmer. Bewaffnet war er nicht. Das brauchte er auch nicht, denn Wachtmeister Nese hielt mich nach wie vor in Schach.
Neben mir blieb Merkens stehen.
Einen Retter hatte ich ihn genannt, verdammt, genau das Gegenteil war der Fall. Er hatte mich in eine Falle geführt, und ich Vollidiot war hineingetappt.
Er schaute auf die Pistole, grinste und trat sie dann weg. »Die brauchst du nicht mehr!«
Ich riß mich zusammen, räusperte mir die Kehle frei und stellte die erste Frage.
»Warum haben Sie mich hier gefangengehalten?«
»Weil du eine Gefahr darstellst.«
»Und wieso?«
»Frag ihn.« Er deutete auf Wachtmeister Nese. »Dein Freund, dieser Kommissar, hat ihm brühwarm berichtet, daß du aus London kommen würdest. Ich habe dich gesucht, als ich feststellte, daß du nicht im Moor verreckt bist. Dafür wirst du jetzt sterben.«
»Sie kennen meinen Freund?«
»Natürlich.«
»Wo ist er?«
Merkens deutete nach unten. »Im Keller. Dort habe ich ihn eingesperrt, nachdem Nese ihn hergeschafft hat. Genau wie die anderen.«
»Welche anderen?« hakte ich nach, denn meine Neugierde war längst nicht befriedigt. Nichts geschah ohne Motiv, auch hier nicht.
Ich mußte es herausbekommen.
»Meine Tochter und ihren Freund«, bekam ich zur Antwort.
Ich war geschockt. »Sie haben Ihre Tochter…?«
»Ja!« knirschte er. »Es mußte einfach sein, verdammt. Sie wird sterben, du mußt sterben, alle werden sterben!« Er kicherte hohl.
»Ich kann keine Zeugen gebrauchen, ich, der…« Was er weiter sagte, verstand ich nicht, denn er verschluckte die Worte.
Ich wartete, bis er sich beruhigt hatte, und stellte meine nächste Frage: »Warum tun Sie das alles? Warum nur, Merkens? Sie müssen doch einen Grund haben!«
Er schaute mich an. Seine Augen wurden klein, blutunterlaufen.
»Ja, Sinclair, ich habe einen Grund. Einen verdammten Grund sogar.« Er ballte die Hände zu Fäusten und schaute mich wild an.
Ich hielt dem Blick stand.
War er normal? In seinen Augen sah ich nur ein düsteres Flackern, aber das dritte Auge erschien auf seiner Stirn nicht. Wo steckte der Zyklop, um den sich alles drehte?
»Nennen Sie mir den Grund!« forderte ich ihn auf, und es gelang mir sogar zu lächeln. »Ich bin schließlich so gut wie tot und werde nichts mehr verraten können. Sprechen Sie sich aus, Merkens.«
»Ja«, sagte er, »ich rede. Und danach wirst du sterben, Schnüffler.«
Wie oft hatte ich die Prophezeiung schon gehört. Ich störte mich kaum noch daran. Schlimm war dieser andere, der mir die Gewehrmündung gegen die Kehle drückte und keinen Millimeter wich, so daß es mir schwerfiel, Luft zu bekommen.
»Gib gut auf ihn acht!« zischte Merkens, dann ging er einen halben Schritt zurück und begann zu reden.
»Vor 20 Jahren begann alles. Da lernte ich meine Frau kennen. Sie war hübsch, so verdammt hübsch mit ihren langen schwarzen Haaren, wie meine Tochter sie auch hat. Ich verliebte mich Hals über Kopf in sie, und ich war ihr auch nicht gleichgültig. Als ich sie fragte, ob sie mich heiraten wollte, da sagte sie zu meiner Überraschung ja, obwohl ich ihr nichts bieten konnte. Nur ein Haus im Moor. Aber sie wollte weg, fort aus der verdammten Stadt, weg vom Hafen, wo man sie hingeschickt hatte, und nur deshalb sagte sie ja. Wir zogen also ins Moor, und sie war mir eine gute Frau. Unsere Tochter kam, und dann merkte ich, wie sehr sich meine Frau veränderte. Nachts schlich sie oft ins Moor. Zuerst habe ich es gar nicht bemerkt, doch als es mir auffiel, war es schon zu spät. Da hatte sie längst den Pakt geschlossen.«
»Welchen Pakt?« unterbrach ich ihn.
Er holte tief Luft
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