0143 - Die Schöne aus dem Totenreich
Verkaufstheken übervoll. Die Waren stapelten sich, und ich fragte mich, wer das Zeug nur alles kaufen sollte. Sogar die Kosmetikabteilung war mit einem Weihnachtsmann geschmückt, der die Fläschchen mit den Duftwässerchen hochhielt. Ich sah auch Produkte von Fariac Cosmetics.
Auch hier hörten wir das schreckliche Stöhnen und Seufzen. Und ebenso stark wie oben.
Von einem Nachtwächter sah ich nichts. Und ich bemerkte auch nichts von der drohenden Gefahr, die bereits auf uns lauerte, denn Asmodina hatte nichts vergessen…
***
Da ihm Radfahren im Winter zu anstrengend war, hatte er sich den kleinsten Morris zugelegt, der hergestellt wurde. Und damit war Walter Kermitt zufrieden.
Er war seit 20 Jahren geschieden und hatte danach nie wieder den Hafen der Ehe angelaufen. Um heiratswillige Frauen machte er lieber einen Bogen, die nahmen einem Mann nur das ganze Geld ab.
Er arbeitete gern nachts. Da konnte er lesen, Kreuzworträtsel lösen und auch mal ein Nickerchen machen. Kein Chef schaute nach ihm, und an die Kontrolluhr hatte er sich im Laufe der Zeit so gewöhnt, daß er sie als alten Kumpel bezeichnete.
Wenn andere über ihre Arbeit schimpften, konnte man Walter Kermitt als einen zufriedenen Menschen bezeichnen.
Als er an diesem späten Abend seinen Dienst antrat, brannte hinter keinem der Supermarktfenster noch Licht. Das wunderte ihn, denn vor dem Fest arbeitete der Filialleiter oft länger. Heute war er schon früher heimgegangen.
Kermitt bedauerte das ein wenig, denn mit diesem Mann hatte er immer gern ein Schwätzchen gehalten.
Den Wagen stellte Kermitt in einer Einfahrt ab. Da stand er vor Regen und Schnee geschützt. Walter strich noch einmal über den roten Lack, nickte lächelnd und schritt auf die kleine Tür des Seiteneingangs zu, durch die er den Supermarkt betreten wollte.
Kermitt besaß auch den flachen Schlüssel. Er schloß auf und betrat das Geschäft.
Sofort machte er seine erste Runde. Das hatte er sich im Laufe der Jahre so angewöhnt.
Leer, still und verlassen lagen die beiden Verkaufsräume. Das Lager ebenfalls, und auch als Walter Kermitt die Türen kontrollierte, konnte er nichts feststellen.
Alles war in Ordnung.
Beruhigt stopfte Walter seine Hände in die Hosentaschen und marschierte pfeifend zu seiner Bude.
Das kleine Büro nannte er immer Bude. Tagsüber saßen dort zwei Schreiberinnen, die auf ihren IBM’s hackten. Um diese Zeit war der Laden still.
Walter Kermitt bückte sich und holte aus der Aktentasche eine Flasche Bier, zwei Sandwiches, eine Tafel Schokolade, drei Zeitungen und ein Herrenmagazin, das schon reichlich zerfleddert und zerlesen aussah. Kermitt freute sich auf diese Lektüre. Ein Nachbar hatte es ihm überlassen.
Die Zeitungen beschäftigten sich mit dem Fußball, das große Hobby des Nachtwächters. Er war ein Anhänger von Leeds United, und wenn es eben ging, ließ er kein Heimspiel aus.
Kermitt öffnete die Bierflasche, biß in einen Sandwich und faltete die Zeitung auseinander.
Er hielt sie hoch vor sein Gesicht, deshalb konnte er auch nicht über ihren Rand schauen und zur Tür sehen. Er bemerkte wohl den kühlen Luftzug, der in den Raum wehte, kümmerte sich jedoch nicht darum. Ebensowenig störte ihn das schwere Seufzen und Atmen, daß er im Anfang vernommen hatte.
Er nahm es einfach nicht mehr zur Kenntnis und glaubte inzwischen daran, daß es sich bei ihm um eine Einbildung handelte.
Er blätterte die Zeitung durch.
Und da waren plötzlich die Finger, die den oberen Rand umklammert hielten und Kermitt die Zeitung mit einem Ruck aus den Händen rissen.
Walter Kermitt war zu überrascht, um sofort zu reagieren. Er merkte nur, wie sein Herz anfing zu pumpen. Dann starrte er aus weit aufgerissenen Augen auf die vor ihm stehende Person.
Es war eine Frau!
Aber was für eine.
Walter Kermitt schluckte und atmete röchelnd. Solch eine Person hatte er noch nie gesehen.
Sie trug nur eine knappe schwarze Lederkleidung, die in der Körpermitte unterbrochen war. Ihr feuerrotes Haar fiel bis auf die Schultern, aber die seltsamen Dinger auf dem Rücken, die Kermitt nur schwach sah, erinnerten ihn doch an Flügel.
Was ihn stutzig machte, war der Bogen, den die Frau in der Hand hielt. Quer über ihre Brust lief der Riemen, mit den ein Köcher voller Pfeile gehalten wurde.
Die Schäfte schauten hinter den Schultern hervor. Und Walter Kermitt sah noch eine zweite Frau an der Tür stehen, die der ersten Person aufs Haar glich.
Der Nachtwächter
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