015 - Der Schatz des Poseidon
seit er an der Spitze des Konzerns stand und in den vielen Jahren, die er mit dem Weg an diese Spitze verbracht hatte, hatte er gelernt, dass er niemandem trauen durfte. Eine einzige Ausnahme von dieser Regel gab es und die hieß Jesus Rioja – Frascatis Sekretär und langjähriger Freund.
Und früher hatte es noch eine weitere Ausnahme gegeben …
»Ich höre«, wiederholte der Hauscomputer. Schwang da eine Spur von Ungeduld in der künstlich erzeugten Stimme mit?
»Vergiss es!«
Das Star Gate hatte Tausende von Jahren gewartet – es konnte auch noch einige Tage länger warten. So lange, bis die ›Laserwaffe‹ von Christie’s mit der Funddokumentation eingetroffen war und er beides in Augenschein nehmen konnte. Danach würde er entscheiden, was zu tun war. Diese Angelegenheit war viel zu wichtig, um sie zu überstürzen.
Einige Minuten stand Frascati noch sinnend da, dann gab er sich einen Ruck und ging zu der Laokoon-Gruppe. Er berührte einen verdeckten Schalter, woraufhin die Plastik langsam um ihre eigene Achse schwenkte und den Weg zu einer exzellent ausgestatteten Bar freigab. Er nahm ein Glas zur Hand, füllte es bis zur Markierung mit Pernod und goss dann Wasser darauf. Bevor er trank, zögerte er einen Augenblick.
Zuviel Pernod in letzter Zeit …
Endlich trank er einen kleinen Schluck, nachdem er sich selbst versprochen hatte, es bei diesem einen Glas zu belassen. Dann ging er mit dem Pernod in der Hand zurück zu seinem Sessel. Als er an dem großen, weißen Konzertflügel vorbeikam, der einen Teil des Raumes beherrschte, hielt er unwillkürlich an.
Oben, in der Mitte des Flügels, stand ein Bild – die einzige moderne Photographie in diesem mit Altertümern angefüllten Wohnsaal.
Ihr Bild.
In der Linken nach wie vor das Glas haltend, strich Frascati mit der Rechten sanft über die Abdeckung der Klaviatur. Wieder einmal drohte ihn der Drang, sie zu öffnen und eine der Tasten zu berühren – sie anzuschlagen – zu überwältigen. Doch wie schon so oft widerstand er auch dieses Mal, obwohl es ihn schier übermenschliche Anstrengung kostete.
Niemand hatte diesen Flügel geöffnet oder gar auf ihm gespielt – niemand, seit Margrets Tod.
Und wenn es nach ihm ging, würde das auch niemand mehr tun, obwohl er sich mit jeder Zelle seines Körpers danach sehnte, seinen Klang noch einmal zu hören – nur ein einziges Mal!
Sein Blick glitt aus dem Fenster und fand die Landzunge mit dem Kreuz. An jener Stelle war ihr lebloser Körper angeschwemmt worden – damals, vor mehr als fünf Jahren. Die schmerzhafte Erinnerung an seine Frau, an ihren Tod, war der gewichtigste Grund dafür, warum sich Frascati immer seltener in diesem Haus aufhielt. Warum er sich in Arbeit vergrub.
Die Dämonen der Vergangenheit waren schwer zu bannen.
Eine Zeile eines Liedes, das er einmal gehört hatte, kam ihm in den Sinn.
It mostly is the good who are the losers in this life …
Ja, meist waren die Guten die Verlierer in diesem Leben – die Guten und die Unschuldigen.
Frascati war zwar unblutig an die Spitze von Mechanics Inc. gekommen – etwas, das nicht alle amtierenden Chefs der großen Konzerne von sich behaupten konnten –, aber ein Mensch war dadurch doch ums Leben gekommen, wenn auch indirekt.
Der Mensch, der ihm von allen am teuersten gewesen war.
Jahrelange Intrigen und Gegenintrigen, die für den Weg an die Spitze, sei es in Unternehmen oder in der Politik, unumgänglich waren, hatten ihre Spuren an Margret hinterlassen. Ihre einstige Schönheit war verwelkt wie ein Blatt im Herbst. Falten hatten sich in ihr früher so makelloses Gesicht gegraben.
Doch deshalb hatte er sie nicht minder geliebt.
Als dann die Intrigen seiner Gegenspieler eine immer persönlichere Form annahmen und sie endlich auch Frascatis Frau massiv verleumdeten und diese Verleumdungen mit gefälschten ›Beweisen‹, auch der Presse gegenüber, untermauerten, hatte sie wohl keinen Ausweg mehr gesehen.
Zumal auch er selbst begonnen hatte, an ihr zu zweifeln.
Dass die Beweise, die seine Gegner vorgelegt hatte, fingiert waren, hatte er erst später erkannt.
Zu spät …
Man muss für alles im Leben bezahlen …
Doch Schicksalsschläge, die einen nicht umbringen, machen einen härter – zumindest nach außen.
Er tat einen tiefen Schluck, der das Glas beinahe zur Hälfte leerte, zögerte einen Moment und kehrte dann zur Bar zurück. Er nahm die angefangene Flasche und stellte sie und das Glas auf einen kleinen
Weitere Kostenlose Bücher