0161 - Zuletzt wimmern sie alle
begrüßte die Kollegen. Es waren Guy Wolters und Mobby Lindfeld. Nachdem sie mich ein bißchen aufgezogen hatten wegen meiner nassen Kleidung, sagte Guy: »Was hältst du von dem Mord in der Telefonzelle?«
»Von was für einem Mord? In welcher Telefonzelle?« fragte ich entgeistert.
»Na, weißt du denn noch nichts von der Geschichte, die heute nacht passiert ist?«
»Keine Ahnung. Ich war heute nacht nicht im Distriktgebäude.«
»Das wissen wir«, erwiderte Mobby Lindfeld. »Zu Hause warst du auch nicht. Und dann deine nassen Sachen! Hast du irgendwo einer Schönen ein Ständchen gebracht und bist von oben her begossen worden?«
»Stimmt ziemlich genau«, erwiderte ich. »Aber jetzt erzählt mal, was heute nacht los war!«
Sie berichteten mir von dem eigenartigen Anruf. Zum Schluß seiner Erzählung meinte Guy Wolters: »Das Komische an der Geschichte ist, daß man in der Telefonzelle eine Brosche fand, und zwar eine Brosche, die Raila Sheers gehört haben soll. Phil behauptet das wenigstens. Jetzt frage ich dich, Jerry: Wie soll eine Brosche, die der Sheers gehörte, in die Telefonzelle am Times Square kommen? Die Sheers ist tot. Ihr Zimmer war von der Mordkommission versiegelt!«
»Eine Brosche…« murmelte ich. »Eine Brosche, die Raila Sheers gehört haben soll..«
Meine Gedanken gingen zurück zu den Ereignissen der heutigen Nacht. Ich hatte auf einem Sofa gesessen und zufällig in die Richtung geblickt, in welcher der Freundliche das Zimmer verlassen wollte.
Sie erinnern sich vielleicht: Er hatte gerade in dem Augenblick die Tür geöffnet, als draußen ein Mädchen durch den Korridor gegangen war. Ein Mädchen, das Raila Sheers glich wie ein Ei dem anderen.
Ich hatte dieses Mädchen nur ganz kurz gesehen, vielleicht vier oder fünf Sekunden. Aber in diesem kurzen Zeitraum hatte ich doch eine Kleinigkeit bemerkt, die jetzt auf einmal eine ungeheure Bedeutung erhielt: Das Kleid dieses Mädchens hatte einen deutlich sichtbaren Riß gehabt, eine schadhafte Stelle, ein dreieckiges Loch, das sich wenige Zentimeter unterhalb des linken Schlüsselbeins befand.
Also an einer Stelle, wo Frauen manchmal Broschen zu tragen pflegen…
***
»Sir, die ›Santa Margarete‹ läuft ein«, meldete ein Mann der Küsten wache seinem Vorgesetzten Offizier.
»Schön, dann schreiben Sie sie in die Liste, die das FBI haben will. Machen Sie eine kurze Bemerkung dazu. Eh… schreiben Sie: ›Einlaufzeit nach Plan zwei Uhr morgens. Infolge sehr starken Nebels mit fünf Stunden Verspätung angekommen. Heimathafen Rio. Fährt unter der Flagge von Panama. ‹ Das wäre alles.«
»Jawohl, Sir.«
Eine kleine Meldung, eine harmlose Meldung. Aber fast immer sind es die harmlosen Kleinigkeiten, die einem Kriminalfall seine entscheidende Wendung geben.
***
Ich erzählte den Kollegen nichts von dem Mädchen, das ich in der Nacht gesehen hatte. Ich sagte auch nichts von dem Riß in ihrem Kleid. Sonst hätte ich die ganze Geschichte dieser Nacht erzählen müssen, und dazu war keine Zeit mehr, denn sie hielten gerade vor meinem Hause.
Ich wollte schon aussteigen, als mir einfiel, daß ich keine Waffe mehr hatte. Mein Revolver war mir von den Gangstern abgenommen worden, und die Waffe des Bullen lag neben seinen anderen Besitztümern in einem der Fächer, wo beim FBI die Habseligkeiten der bei uns Inhaftierten aufbewahrt werden. Andererseits hatten mich die Gangster hinter der Haustür erwartet, und wer konnte wissen, ob sie es nicht ein zweites Mal an der gleichen Stelle versuchen würden?
»Könnt ihr einen Augenblick hier warten, bis ich euch vom Fenster aus zuwinke?« fragte ich die Kollegen. »Man hat mich schon gelegentlich hinter der Haustür erwartet.«
Sie grinsten und nickten nur. Es war manchem von ihnen schon ähnlich ergangen. Ich ging zur Haustür und stieß sie vorsichtig auf. Niemand war zu sehen. Das Haus lag noch im Frieden der frühen Morgenstunde. Irgendwo im ersten oder zweiten Stock dudelte ein Radio.
Ich betrat meine Wohnung und schloß die Tür hinter mir sorgfältig wieder ab.
Nachdem ich alle Räume flüchtig durchsucht hatte, gab ich den Kollegen am Fenster das Zeichen, daß sie fahren könnten.
Ich legte die nasse Kleidung ab und ging ins Badezimmer. Brüllend heiß ließ ich das Wasser über meinen durchgefrorenen Körper dampfen. Anschließend gab’s eine kalte Dusche, bis mir die Haut brannte wie von tausend Nadelstichen.
Dann noch ein kräftiges Frühstück, trockene und warme Kleidung -
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