0179 - Der unheimliche Ritter
der mühelos einen Lehrstuhl an jeder beliebigen Hochschule hätte bekommen können, wenn es ihn von der Seite Pols weggezogen hätte, in das Phänomen ein, das das Amulett gezeigt hatte.
»Und das soll ich glauben, Chef?« fragte Garcier. »Im sichtbaren und im UV-Bereich Linienspektrum, bei dem fast alles absorbiert wird, und erst im Bereich von 0,7 bis 500 u Lichtemissionen?«
»Gerade das möchte ich in einem Wiederholungsversuch klären«, stellte Henner Pol klar. »Und mich reizt es, festzustellen, ob die Strahlung nicht über den Bereich von 500 u hinausgeht!«
»Noch langwelliger?« stieß Garcier überrascht hervor. »Bis in den Radiobereich?«
Pol nickte nur.
Garcier hielt ihn für einen Fantasten und sagte das seinem Chef auch deutlich. »Pol, Radiosterne strahlen im langwelligen Bereich und haben daher ihren Namen, geben aber kein sichtbares Licht ab und noch nicht einmal Infrarot! Und was die Atomöfen irgendwo im Weltraum nicht können, das kann dieses komische Stück Silber schon gar nicht!«
Pol korrigierte ihn nicht über die Materialbeschaffenheit des Amuletts. Er nahm Garcier auch nicht übel, daß der ihn einen Fantasten genannt hatte. Zu viele hatten es schon behauptet und waren hinterher von den Erkenntnissen, die Pol erarbeitet hatte, aufs Kreuz gelegt worden.
»Wir wiederholen die Spektralanalyse«, befahl Pol.
»Und wie wollen Sie das Ding zum Abstrahlen bringen?« fragte Garcier, dem sein Chef verraten hatte, auf welche Weise der unsichtbare Lichtstrahl zustandegekommen war.
Pol zuckte mit den Schultern.
»Auf die übliche Weise«, sagte er. »Metall, das glüht, gibt Licht ab. Also werden wir es erhitzen.«
Sein Pech war nur, daß das Material, aus dem das Amulett bestand, kein irdisches war. Aber das konnte Henner Pol zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Er bereitete alles für die erneute Analyse vor.
***
Der Ausgemergelte, der Tote, den der Schwarze Ritter wiedererweckt hatte, konnte nicht mehr fliehen. Die Angst lähmte ihn, aber war sein Verhalten nicht widersprüchlich? Hatte er nicht Nicole gegenüber behauptet, etwas Besseres als umgebracht zu werden, könne ihm gar nicht passieren, weil er dieses untote Dasein, zu dem er gezwungen werde, verabscheute und haßte?
Warum dann aber diese Angst?
Etwas stimmt da nicht, dachte Nicole und beobachtete weiter.
Der Fünf-Meter-Riese in seiner mattschwarzen Rüstung kam heran. Seine Pranke streckte er aus, beugte sich ein wenig nieder und riß dann den Untoten empor! Die eisengepanzerte Hand des Schwarzen Ritters war groß genug, den dürren Körper des Mannes zu umspannen, und über welche Kräfte der Titan verfügte, bewies er mit der Leichtigkeit, mit der er den Untoten emporhievte.
»Verräter!« donnerte er, und grell strahlten seine Augen wie die der Dreißig-Zentimeter-Figur auf dem Kaminsims.
Beide mußten zusammengehören!
Daß Thorn die kleine und bewegliche Figur seinen Symbionten genannt hatte, konnte Nicole nicht ahnen.
Der Ausgemergelte wehrte sich nicht gegen seinen Herrn. Aber er verriet Nicole auch nicht, als der Schwarze nach ihr fragte.
Thorn bohrte nicht weiter nach. Plötzlich hatte er seinen Langbogen in der Hand und schrie dabei ein Wort, das Nicole erschauern ließ. Es war schwarze Magie, und diese Magie ließ den Körper des Untoten verhärten!
Thorn, der ihn nicht hatte ins Jenseits eingehen lassen, war jetzt am Körper des Untoten zum Mörder geworden und hatte ihn dabei erlöst!
Der Ausgemergelte war schon tot, als Thorn ihn als Pfeil benutzte, die Bogensehne bis hinter das Ohr auszog und den Pfeil dann davonschnellen ließ.
Der verhärtete Körper raste blitzschnell davon, stieg über dem Loire-Tal auf und flog in grellem Aufblitzen am Himmel auseinander wie ein Feuerwerk!
Thorn aber schenkte dem prächtigen Feuerwerk kein Augenmerk mehr, sondern sah sich am Boden um. Er stampfte ein paar Schritte in jede Richtung und suchte offenbar nach Nicole Duval.
Die hielte den Atem an und schirmte weiterhin ihre Gedanken ab, falls dieser Dämon auch noch Gedanken lesen konnte.
Aber dann verschwand er wieder mit langen, weitausgreifenden Schritten den Berg hinauf.
Nicole blieb in ihrem Versteck und wartete, bis sich die Tür im Fels hinter dem Schwarzen Ritter wieder geschlossen hatte. Dabei dachte sie an ihren Befreier. Dessen widersprüchliches Verhalten ging ihr nicht aus dem Kopf.
Oder hatte er etwa Angst davor gehabt, nicht getötet zu werden? durchfuhr es sie plötzlich. Hatte er sie nur
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