0179 - Der unheimliche Ritter
führenden Treppe hatte Zamorra verraten, daß er selbst nicht länger als zwanzig Minuten außer Gefecht gewesen war. Die Wirkung seiner Faustschläge kannte er zur Genüge, sein »Jagdhieb« à la Old Shatterhand hätte Sven Pol für mindestens eine Stunde niederstrecken müssen. Aber der Astrophysiker war auch wieder wach gewesen, bevor es hätte sein dürfen.
»Wollen Sie sich als Taschendieb profilieren, Pol?« fragte er den Astrophysiker.
Henner Pol lachte bitter auf.
»Mein Faustpfand«, sagte er. »Sie werden gleich dieses Schloß und das Grundstück verlassen, Zamorra. Und wenn Sie zurückkehren, werde ich das Amulett zerstören. Welchen Wert es besitzt, besonders für Sie, weiß ich inzwischen.«
Zamorra schüttelte den Kopf.
»Ob Sie es im Safe einschließen oder zerstören, kommt für mich auf dasselbe heraus«, erwiderte er. »Es hat für Sie als Erpressermittel keinen Wert.«
»Wer sagt, daß ich es für immer behalten will?« fragte Pol lächelnd. »Irgendwann erhalten Sie es zurück. Dann, wenn diese ganze Aktion in Vergessenheit geraten ist«
»Die Entführung Nicole Duvals kann man nicht vergessen, Pol«, sagte Zamorra drohend.
»Sie werden sie vergessen müssen«, knurrte Pol. »Und jetzt verschwinden Sie, um nicht wiederzukehren!«
Jaques half Zamorra nach. Er zwang ihn zum Aufstehen und drängte ihn zum Ausgang. Dort stand Sven Pol, der sagen zu müssen glaubte: »Einen Schlag hast du noch bei mir gut, Professorchen !«
Zamorra ging nicht darauf ein.
Er wußte, daß er im Moment nichts tun konnte. Er mußte abwarten, so schwer es ihm auch fiel. Er mußte auf die Nacht warten. Sie war seine Chance.
Aber auch die der finsteren Mächte…
Mit langsamen Schritten ging Zamorra zum Wagen, stieg ein und fuhr los.
Sven Pol sah ihm mit triumphierendem Grinsen nach, und Jaques, der Diener mit dem Habichtgesicht, rieb sich sein spitzes Kinn und zeigte offen, wie er sich über diesen schmählichen Abgang des Schnüfflers freute.
Nur Henner Pol, der das Amulett in seiner linken Hosentasche versenkt hatte und nur noch das silberne Umhängekettchen heraushängen ließ, fühlte sich bei der Angelegenheit nicht wohl.
Er fragte sich, was wirklich mit dieser Nicole Duval geschehen war. Und er fragte sich auch, warum Zamorra den Verlust seines Amuletts so einfach hingenommen hatte.
Der Astrophysiker hatte ein mulmiges Gefühl im Magen. Ein Gefühl, das ihn selten getrogen hatte, und darum konnte er als einziger sich nicht über die stillschweigende Abreise Zamorras freuen.
Er selbst hätte nämlich ganz anders reagiert!
***
Der Ausgemergelte wollte mit dem Schreien nicht mehr aufhören. Es zerrte stärker an Nicoles Nerven als das Nahen des Fünf-Meter-Riesen, der mit seinen Siebenmeilenstiefeln den Berg herunterkam. Hinter ihm gähnte in der Höhe die Öffnung im Fels, in dessen Gang es bläulich glomm.
»Hör auf!« schrie Nicole den Untoten mit eigenem Denkvermögen an, aber der war nur noch von panischer Angst erfüllt. »Laß uns hier verschwinden!« rief sie ihm zu. »Versuche mit mir den zeitlosen Weg zu benutzen!«
Endlich stellte der Ausgemergelte sein Schreien ein, aber seine stumpfen Augen waren angstvoll weit aufgerissen, als er Nicole ansah, und sein Körper wurde von Krämpfen geschüttelt.
»Es nützt doch nichts«, kreischte er heiser. »Er sieht die Spur, wie er sie auch jetzt gesehen hat!«
Nicole biß sich auf die Unterlippe. Daß eine Teleportation, eine örtliche Versetzung ohne Zeitverlust durch Geisteskraft, eine sichtbare Spur hinterließ, hörte sie heute zum ersten Mal. Keiner der Druiden, die den zeitlosen Sprung beherrschten, hatte bisher etwas davon erwähnt, daß sich eine solche Teleportation verfolgen ließ.
Aber das schloß nicht aus, daß der Ausgemergelte die Wahrheit sprach. Was wußten die Menschen denn schon von der Vielfalt der Para-Phänomene? Otto Normalverbraucher tippte sich auch grinsend an die Stirn, wenn man ihm gegenüber die Möglichkeit der Teleportation erwähnte, die die Druiden und auch die tibetischen Mönche schon vor Jahrtausenden zur Perfektion entwickelt hatten. Solche Dinge hatten in der Welt der Technik einfach keinen Platz, und gerade deshalb gelang es den Mächten des Bösen immer wieder, mit ihrer Schwarzen Magie vorzustoßen und ihrem Endziel, die Welt zu beherrschen und in eine kleine Hölle umzuwandeln, näherzukommen.
Menschen wie Professor Zamorra, Nicole, John Sinclair, Gryf oder Ted Ewigk konnten nur Teilerfolge erzielen
Weitere Kostenlose Bücher