019 - Das Sklavenspiel
Morgen noch keinen Ton gesagt. Der totenbleiche Crane konnte sowieso niemandem in die Augen blicken. In leise Selbstgespräche vertieft, trottete er neben seinen Kameraden her, manchmal in fahrigen Bewegungen um sich schlagend, als ob gegen unsichtbare Geister kämpfte. Für die Sklaven in der Turnhalle hatte er schlicht als irre gegolten, deshalb hatte man ihn zu den Freeks abgeschoben.
Zoltan beobachtete dagegen alle Ge- schehnisse mit wachen Augen. Wegen seiner Krankheit war es gewohnt, das niemand mit ihm reden wollte, deshalb schwieg er, wenn er nicht angesprochen wurde.
»Gegen dein Leiden helfen Meerwasser und Sonne«, erklärte Matt mit Blick auf die Schuppenflechte, die sich über Gesicht, Hände und Unterarme des Mannes zog. Vermutlich war der Rest seines Körpers ebenfalls durch nässende und sich schuppende Schorfwunden entstellt.
»Ich weiß«, antwortete Zoltan. »Deshalb bin ich an die Küste gereist. Leider haben mich die Rojaals festgesetzt, bevor ich das Meer auch nur von weitem sehen konnte. Früher habe ich immer gedacht, ich würde alles auf mich nehmen, um meine Krankheit zu besiegen. Seitdem ich hier durch den Wald marschiere, bin ich anderer Meinung.«
»Wir kommen schon durch«, machte ihm Matthew Mut. »Wir müssen nur zusammen halten.«
Plötzlich stand Pagur vor ihnen. Er klopfte Zoltan grob auf die Schulter und forderte:
»Komm mit nach vorne, wir sind dran.« Gehorsam schlurfte Zoltan dem Mörder hinterher, bis sie die Spitze des Pfades erreichten. Mit wuchtigen Schwerthieben machten sie dort weiter, wo Chip und Dale aufgehört hatten.
Matt sah sich unbehaglich um. Bisher hatte der Wald nur sein friedliche Seite gezeigt, doch das musste nicht viel heißen. Hinter der grünen Wand, die sie von allen Seiten umgab, konnten überall Tiere lauern, die nur auf eine günstige Gelegenheit lauerten. Trotzdem blieb alles ruhig.
Zu ruhig.
Weder Vogelstimmen noch Insekten- geräusche, die sonst einen steten Geräuschteppich lieferten, waren zu hören. Da stimmte etwas nicht!
Matt wusste nicht genau, was ihn be- unruhigte, doch irgendetwas ließ seine Nervenenden beben. Immer wieder forschte er in den umliegenden Büschen nach einem schimmernden Augenpaar, dem er die Ursache der spürbaren Bedrohung zuschreiben konnte. Doch so sehr er auch versuchte, die Schatten der Umgebung zu durchdringen, seine Bemühungen waren zum Scheitern verurteilt. Die Spannung wich nicht von seinen Schultern, bis ihn ein Schrei herumwirbeln ließ.
»Hey, kommt alle her!«, rief der sonst so schweigsame Zoltan begeistert. »Das müsst ihr euch ansehen.«
***
Pagur und er hatten den grünen Vorhang zu einer schmalen Lichtung durchbrochen, auf der riesige Orchideen wuchsen. Hastig drängte Matt nach vorne. Was er zu sehen bekam, schien einem kitschigen Bildnis des Garten Eden ent- sprungen zu sein.
Ein kleiner Bach schlängelte sich zwischen drei armdicken Blumenstängeln entlang, die gut zehn Meter blattlos in die Höhe führten. An der Spitze entfaltete sich jeweils eine zitronengelbe Blüte, die mit knapp fünf Meter Durchmesser viel Schatten bot.
Dieses Wunder der Natur wurde durch einen Spalt im weit darüber liegenden Blätterdach ermöglicht. Auch ringsum befanden sich keine störenden Äste, die den Blumen Licht und Raum zum Entfalten nahmen.
Eine himmlische Ruhe lag über dem Ort, wie sie Matt schon seit Tagen nicht mehr gespürt hatte. Während Pagur und Zoltan vorwärts stürmten, um sich am Bach zu erfrischen, schlang Aruula ihre Arme von hinten um seinen Leib und streichelte zärtlich seinen Brustkorb.
»Bist du noch böse?«, schnurrte sie, während sie ihre blanken Brüste gegen seinen Rücken presste.
Matt genoss die Berührung, während er sich zu ihr umwandte. »Natürlich nicht.«
Zärtlich versenkte er seine Finger in ihrem seidigen Haarschopf und zog sie zu sich heran. Ihre Lippen näherten sich seinen…
Doch bevor sie sich sanft berühren konnten, fiel Dunkelheit über ihre Gesichter.
Alarmiert blickte Matthew in die Höhe.
Der Schlagschatten entstand, weil die Riesenblüten in Bewegung geraten waren und nun die Sonne verdeckten. Weder ein Windstoß noch sonst eine natürliche Ursache war dafür verantwortlich - die Blumen schwankten völlig asynchron zueinander, als wären sie lebendig. Sie wirkten mit einem Mal wie die Köpfe einer Hydra, die zum Angriff ansetzte.
Ehe Matt eine Erklärung für dieses Phänomen finden konnte, stürzten sich die Blüten auch schon in die Tiefe!
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