0195 - Die Modegangster von New York
wir lächelten beide. Das Mädchen, das Mrs. Pardo irrtümlicherweise mit Blanche Santou verwechselt hatte, sollte uns vorgeführt werden. Die Tatsache, dass Mrs. Pardo so auf das Mädchen angesprungen war, sollte als Beweis dafür dienen, dass auch ihre frühere Anschuldigung, sie sei mit der verschwundenen Blanche Santou identisch, falsch war.
Was Mr. Duringer allerdings nicht wusste, war, dass wir den Vorfall an der 53. Straße miterlebt und uns das Mädchen genau angesehen hatten.
Jedenfalls war ich begierig, ihre Bekanntschaft zu machen, und meinem Freund erging es genauso.
In aller Ruhe tranken wir unsere Gläser aus und schlenderten hinüber. Der Modeboss stand auf und stellte vor.
»Mr. Cotton, Mr. Decker… Mademoiselle Claire Dubonnet.«
Das Mädchen nahm seine Brille ab und blickte uns aus großen, dunkelblauen Augen an.
Zweifellos sah sie dem Girl, von dem Mrs. Pardo behauptet hatte, es sei Blanche, ähnlich, aber sie war es nicht. Sie begrüßte uns in reizendem, mit französischem Akzent durchsetztem Englisch, und dann meinte Duringer.
»Ich will Ihnen unter dem Siegel der Verschwiegenheit ein Geheimnis verraten. Dies ist die Frau, die die Mehrzahl meiner neuen Modelle entworfen hat.«
»C’est ca, so ist es«, lächelte sie, und dann schob sie die Brille wieder über ihr Naschen. »Sie müssen schon entschuldigen, aber der Arzt hat mir empfohlen, meine Augen zu schonen. Ich habe sie in den letzten Monaten beim Zeichnen überanstrengt.«
Wir drückten unser Bedauern aus, und im Handumdrehen war eine vergnügte Unterhaltung im Gang. Mademoiselle Dubonnet, ich will sie der Einfachheit halber Claire nennen, war Pariserin und konnte mit dem Charme plaudern, der den Frauen dieser Stadt eigen ist.
Wir frischten alte Erinnerungen auf, tranken, und als ich wieder auf die Uhr sah, war es bereits halb eins.
»Es tut uns ehrlich leid, Sie verlassen zu müssen«, sagte ich. »Aber Dienst ist Dienst.«
»So spät noch?«, wunderte sich Claire.
»Leider«, erwiderte ich ehrlich. »Und die Gesellschaft, die wir jetzt aufsuchen werden, ist das extreme Gegenteil von der, die wir zu unserem Bedauern verlassen müssen.«
»Das müssen Sie mir erklären«, sagte sie und nahm die Brille ab.
Sie tat das bestimmt nicht ohne Absicht, denn in ihren Augen tanzten tausend übermütige Teufel.
»Kennen Sie die Bowery?«, fragte Phil, der ebenso wie ich etwas zu viel getrunken hatte. »Genau dort wollen wir hin.«
»Oh, wie interessant. Kann man da nicht mitgehen?«
»Ich möchte Ihnen das nicht empfehlen«, lachte ich. »Reizende junge Damen wie Sie sind dort noch weniger vor Zudringlichkeiten sicher als woanders. Und das, was wir Vorhaben, könnte unter Umständen nicht nur unangenehm, sondern lebensgefährlich werden.«
- »Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als Ihnen alles Gute zu wünschen«, sagte sie und reichte uns ihr schmales Händchen.
»Hast du gesehen, wie verliebt der gute Duringer in seine Zeichnerin ist?«, fragte mich mein Freund, als wir wieder in meinem Jaguar saßen.
»Und ob. Die beiden kamen mir vor wie zwei Turteltauben.«
Unterwegs musste ich heftig nachdenken.
Diese kleine Französin war also die Frau, die Modelle im Stil der Blanche Santou entwerfen konnte.
Unwillkürlich schüttelte ich den Kopf. Die Kleine war hübsch, elegant und hatte Charme. Das waren einfach typisch französische Eigenschaften. Was ich vermisste und was eigentlich die Grundlage für ihre hervorragenden Leistungen hätte sein müssen, war Intelligenz. Sie war ein nettes, verspieltes Kätzchen, aber sie hatte die ganze Stunde über, die wir bei ihr gesessen und uns mit ihr unterhalten hatten, keine besonderen Geistesblitze von sich gegeben. Und was mich noch mehr störte, sie hatte es fast ängstlich vermieden, über Mode und Duringers Geschäftsbetrieb zu sprechen, obwohl man das Gegenteil hätte annehmen sollen.
So vertieft war ich in meine Gedanken, dass ich erst am Union Square wieder aufwachte.
»Du hast Probleme gewälzt«, sagte Phil. »Darf man wissen mit welchem Resultat?«
»Ich kann mir diese Claire nicht als begnadete Modezeichnerin vorstellen.«
»Ich auch nicht«, knurrte Phil. »Aber in dieser Hinsicht kann man sich gewaltig irren. Sie ist eben eine Frau.«
Am Wanamaker Place bogen wir in die Fourth Avenue ein, parkten unseren Wagen am Coopers Square und gingen die beiden Blocks bis zur Bowery zu Fuß.
Seit man die Hochbahn abgerissen und dafür eine Buslinie eingerichtet hat, ist die
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