02 - Hinter goldenen Gittern - Ich wurde im Harem geboren
jene zu denken, denen es schlechtergeht?“
„Du hast Recht, David. Wenn diese Farm wirtschaftlich arbeitet, kommt das allen anderen zugute.“
„Aber du bist trotzdem der Meinung, dass ihr zwei Traktoren braucht.“
„Die Farm braucht sie. Wir leben sehr genügsam und sind sehr glücklich mit unserem Dasein. Du weißt, dass ich nichts verlange, was nicht im Sinne aller ist.“
„Du kannst nur für jene sprechen, deren Schicksal du im Auge hast. Ich habe jedoch die Aufgabe, für das Wohl aller zu sorgen“, sagte mein Vater entschlossen.
Meine Mutter stand auf und ging in ihr Zimmer, das neben meinem lag. Wenige Augenblicke später kam sie zurück und überreichte meinem Vater einen Stapel Geldscheine, die er sofort unter seinem Gewand verschwinden ließ. Das Gespräch hätte ich natürlich nicht belauschen dürfen; Fragen verboten sich somit von selbst. Aber auch so verstand ich Vaters Verhalten. Es entsprach christlichen Grundsätzen.
Wenige Tage nachdem Papa David wieder abgereist war, erkannte ich, dass auch Mutter Recht gehabt hatte: Der alte Traktor konnte nicht mehr benutzt werden und verschwand in der Scheune. Wir mussten wieder auf den Handkarren zurückgreifen. Allein konnte ich das schwere Ding unmöglich zum Markt ziehen, also begleitete mich Okereke. Wir brachen noch vor Tagesanbruch auf, hatten den Wagen viel zu schwer beladen und keuchten langsam wie Schnecken durch die Hitze. Sowohl für den Lehrer als auch für mich war die Anstrengung zu groß.
Der alte Mann musste widerstrebend meine Hilfe in Anspruch nehmen: Er zog, während ich schob. Es war fast Mittag, als wir auf dem Markt ankamen, und viele Kunden waren schon wieder fort. Wir mussten mehr als die Hälfte unserer Waren wieder zurücktransportieren. Mutlosigkeit ist ein schlechter Weggefährte! Es war bereits dunkel, als wir heimkehrten. Die beiden folgenden Tage konnte ich kaum mehr laufen, so sehr schmerzten meine Beine. Zudem hatte ich das beklemmende Gefühl, meiner Familie keine große Hilfe zu sein.
Trotzdem stand für mich außer Frage, mich am folgenden Samstag erneut für den Marsch in die Stadt bereitzumachen. Doch meine beiden Schwestern trauten sich den Marktjob nicht zu: Jem konnte einfach nicht ausreichend rechnen und Efe war zu schüchtern, um von einer Kundin Geld zu verlangen. Sie hätte wahrscheinlich alles verschenkt. So durfte Jo, der die „Frauenarbeit“ auf den Feldern zwar gern erledigte, aber noch lieber die Geschäfte in der Stadt wahrnahm, mich wieder begleiten. Allerdings kamen wir nicht weit. Die Überanstrengung der Vorwoche ließ mich aufgeben.
„Geh allein weiter“, sagte ich, „du wirst die Waren auch ohne mich verkaufen.
Ich warte hier, bis du wieder zurückkommst.“
„Du willst den ganzen Tag hier faul herumsitzen und ich soll mich mit den Marktweibern herumärgern.“ Jo grinste mich schräg an. „Und am Ende komme ich mit ein paar Kobo zurück und du schimpfst mich, weil ich mich übers Ohr habe hauen lassen. Nein, nein, dann schon lieber so!“ Kurzerhand hob Jo mich hoch und zog den schweren Karren mit der Ware und mir in die Stadt.
Natürlich meinte er es gut, ich weiß. Doch tatenlos auf der Ladefläche zu sitzen, während mein Bruder schwitzte, war für
mich noch demütigender, als den ganzen Tag lang am Wegesrand auf seine Rückkehr zu warten. Ich wollte nicht, dass er mich wie einen Krüppel behandelte.
„Was kannst du denn dafür, dass du nicht so gut laufen kannst!“, widersprach Jo. „Dafür hast du einen klugen Kopf. Das passt doch gut zusammen: eine schlaue Schwester und ein starker Bruder.“
Nicht nur in solchen Momenten bedauerte ich es ein wenig, dass er mein Bruder war. „Die Frau, die du einmal heiratest, wird es gut haben“, meinte ich.
„Ich weiß genau, wen ich heiraten würde“, antwortete Jo.
„Kenn' ich sie? Etwa eines von den Mädchen, das uns hilft?“
„Du kennst sie, aber du wirst nicht erleben, dass ich sie heirate.“ Ich hatte ja keine Ahnung, dass Jo unglücklich verliebt war!
„Los, sag schon“, drängte ich.
„Das geht nicht“, antwortete mein Bruder. Während er das sagte, sah ich nur seine muskulösen Schultern, die sich im Rhythmus seiner Schritte bewegten.
Zwei Wochen später beobachtete Mutter uns, wie wir vom Markt heimkehrten: Ich saß, Jo zog. In ihren Augen las ich deutlich ihre Missbilligung. Als mein Bruder zu seinem Haus gegangen war, sagte Mutter: „Jo ist nicht dein Diener, Choga Regina. Ich kann verstehen, dass
Weitere Kostenlose Bücher