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02 - Keiner werfe den ersten Stein

02 - Keiner werfe den ersten Stein

Titel: 02 - Keiner werfe den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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mich, ob dieser letzte Anruf überhaupt etwas mit einem festen Termin zu tun hatte. Der Name stand jedenfalls nicht einmal im Terminkalender. Es kann natürlich sein, daß es sich um eine Vereinbarung handelte, die Stinhurst persönlich getroffen hatte, ohne seiner Sekretärin Bescheid zu geben; es kann aber auch sein -«
    »- daß der Anruf sich überhaupt nicht auf eine Verabredung bezog«, vollendete Deborah den Satz für sie.
    »Um das herauszubekommen, gibt es nur ein Mittel«, stellte St. James fest. »Wir müssen Stinhurst auf den Pelz rücken. Oder selbst versuchen diesem Willingate auf die Spur zu kommen. Ich fürchte nur, wir können jetzt nicht weitergehen, ohne Tommy einzuweihen. Ich finde, wir geben ihm, was wir haben, und lassen ihn den Faden weiterspinnen.«
    »Aber er wird diesen Faden nicht weiterspinnen! Das weißt du doch!« protestierte Helen. »Er will Rhys den Mord anhängen. Das ist das einzige, was Tommy im Augenblick interessiert. Hat dir denn die Demonstration am Wochenende nicht genügt? Sie war doch, weiß Gott, deutlich genug. Und mal ganz abgesehen davon - wenn wir ihn jetzt einweihen, wird er entdecken, daß Barbara in dieser Sache auf eigene Faust gehandelt hat - mit unserer Unterstützung, Simon. Das können wir ihr nicht antun.«
    St. James seufzte. »Helen, du kannst nicht beides haben. Du kannst sie nicht beide schützen. Du mußt dich entscheiden. Willst du es riskieren, Barbara zu opfern? Oder opferst du Rhys?«
    »Ich opfere keinen von beiden.«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß, wie dir zumute ist, aber so geht das leider nicht.«
    Als Cotter Barbara Havers ins Arbeitszimmer führte, spürte sie die Spannung sofort. Der Raum knisterte förmlich.
    »Was ist denn los?« fragte sie.
    Sie wußte, daß sie eine ehrliche Antwort erhalten würde.
    »Simon ist der Meinung, daß wir an dem Punkt angelangt sind, wo wir Tommy reinen Wein einschenken müssen.«
    Zur Erläuterung berichtete Helen von der seltsamen Nachricht, die Stinhurst dem unbekannten Sir Kenneth Willingate hatte übermitteln lassen.
    »Wir haben kein Recht, uns in das Leben dieser Leute zu drängen und sie ins Verhör zu nehmen, Barbara«, bemerkte St. James. »Und Sie wissen, daß sie nicht verpflichtet sind, mit uns zu sprechen. Wir sind an einem toten Punkt angelangt, es sei denn, wir übergeben die Sache jetzt Tommy.«
    Barbara ließ sich das durch den Kopf gehen. Sie wußte, daß Lynley sich nicht von seiner Spur in East Anglia abbringen lassen würde. Dazu war sie viel zu verlockend. Eine abstruse telefonische Nachricht an einen unbekannten Londoner namens Willingate würde er als Zeitverschwendung abtun und nicht weiterverfolgen. Zumal, dachte sie resigniert, da Lord Stinhurst der Mann war, der die Nachricht hatte übermitteln lassen. Die anderen hatten recht. Sie waren an einem toten Punkt angelangt. Aber wenn sie sie nicht überreden konnte, ohne Lynley weiterzumachen, würde Stinhurst völlig ungeschoren davonkommen.
    »Wir wissen natürlich, daß Tommy, wenn er erfährt, daß Sie ohne seine Genehmigung Nachforschungen in einer ganz anderen Richtung unternommen haben -«
    »Das kümmert mich nicht«, unterbrach Barbara brüsk und war selbst überrascht festzustellen, daß dies die reine Wahrheit war.
    »Aber Sie werden vielleicht vom Dienst suspendiert. Oder wieder zur Streife versetzt. Vielleicht sogar hinausgeworfen.«
    »Das ist jetzt nicht wichtig. Diese Geschichte hier ist viel wichtiger. Ich habe heute den ganzen Tag in East Anglia Gespenster gejagt, und zwar ohne ein Körnchen Hoffnung, daß auch nur das Geringste dabei herauskommen wird. Hier aber haben wir was Konkretes, und nur weil ich vielleicht hinterher wieder bei der Streife lande, lasse ich das bestimmt nicht auf sich beruhen. Wenn wir ihm also reinen Wein einschenken müssen, dann tun wir's. Dann sagen wir ihm alles.« Sie hob den Kopf und sah die anderen an.
    »Wollen wir es gleich tun?«
    Die anderen zögerten trotz ihrer klaren Entscheidung.
    »Wollen Sie nicht noch darüber nachdenken?« fragte Helen.
    »Ich brauch nicht darüber nachzudenken«, gab Barbara zurück. Ihre Stimme klang grimmig. »Ich hab gesehen, wie Gowan gestorben ist. Er hatte sich mit eigener Hand das Messer aus dem Rücken gezogen und war durch die Spülküche gekrochen, um Hilfe zu holen. Sein ganzer Körper war verbrüht. Seine Nase war gebrochen. Seine Lippen aufgeplatzt. Ich möchte den Kerl zu fassen kriegen, der das einem sechzehnjährigen Jungen angetan hat.

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