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02 - Von dir kann ich nicht lassen

02 - Von dir kann ich nicht lassen

Titel: 02 - Von dir kann ich nicht lassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Balogh
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Normalerweise waren die Nächte die Zeit,
in der er überwiegend lebte und Kontakte pflegte, zunächst im Theater, oder in
der Oper. Welcher elegante Ball oder welche Soirée auch immer die größte
Menschenmenge anzuziehen versprach, er war dort, und beendete die Nacht dann in
einem seiner Clubs oder im Bett, wenn denn dieser Zeitvertreib das Opfer einer
Nacht mit seinen männlichen Freunden wert schien.
    »Soll
ich fortfahren?« Jane Ingleby hatte innegehalten und vom Buch aufgeschaut.
    »Ja,
ja«, antwortete er mit einer entsprechenden Handbewegung in ihre Richtung, und
sie senkte den Blick und las weiter.
    Ihr
Rückgrat, bemerkte er, berührte die Stuhllehne nicht. Und doch wirkte sie
entspannt und anmutig. Sie las gut, weder zu schnell noch zu langsam, weder monoton
noch mit theatralisch übertriebenem Ausdruck. Sie hatte eine wunderbar sanfte,
kultivierte Stimme. Ihre langen Wimpern wirkten wie zarte Fächer über ihren
Wangen, während sie auf das Buch hinabschaute, das sie mit beiden Händen über
dem Schoß hielt. Ihr Hals war lang und von schwanenhafter Eleganz.
    Ihr
Haar war reines gesponnenes Gold. Sie hatte es hervorragend verstanden, es
streng und nichtssagend wirken zu lassen, aber die einzige Möglichkeit, mit
dieser Bemühung erfolgreich zu sein, wäre, sich den Kopf zu rasieren. Er hatte
während des Vormittags die Schönheit ihres Gesichts und den Reiz ihrer Augen
bemerkt. Erst als sie ihre Haube abgenommen hatte, entdeckte er, wie weit die
Wirklichkeit seine wachsende Vermutung noch übertraf, dass sie eine
außergewöhnlich hübsche Frau war.
    Er
beobachtete sie beim Lesen, während er mit dem rechten Handballen seinen
Oberschenkel rieb, als wolle er damit den Schmerz in der Wade lindern. Sie war
ein Dienstmädchen, eine Abhängige unter seinem Dach, und zweifellos eine
tugendhafte Frau. Und sie war, wie sie während des Vormittags in ihrer üblichen
schnippischen Art bemerkt hatte, dreifach vor ihm geschützt. Aber er würde ihr
Haar zu gerne von allen Nadeln, und Zöpfen befreit sehen. Er wäre auch absolut
nicht abgeneigt, ihren Körper ohne das triste, billige, schlecht sitzende Kleid
und ohne alles andere zu erblicken, was sie vielleicht noch darunter trug.
    Er
seufzte, und sie hielt im Lesen inne und schaute erneut auf
    »Möchten
Sie jetzt zu Bett gehen?«, fragte sie.
    Man
konnte sich bei ihr stets darauf verlassen, dass sie einer Situation ihren
eigenen besonderen Stempel gesunden Menschenverstandes aufdrückte, dachte er.
Ihre Miene zeigte trotz der Wortwahl keinerlei Hinweis auf Zweideutigkeit.
    Er
schaute auf die Uhr auf dem Kaminsims. Gütiger Himmel, es war noch nicht einmal
zehn Uhr. Der Abend hatte kaum begonnen.
    »Da
weder Sie noch Gulliver besonders sprühende Gesellschafter sind, Miss Ingleby«,
sagte er roh, »ist das vermutlich die beste Alternative. Ich frage mich, ob Sie
es zu würdigen wissen, wie tief ich gesunken bin.«
    Eine Nacht Schlaf
ohne alkoholische Getränke oder Laudanum, um den Schlummer herbeizuführen,
hatte die Laune des Duke of Tresham nicht verbessert, wie Jane früh am nächsten
Morgen feststellte. Der Arzt war eingetroffen, und sie wurde vom Frühstück in
der Küche ins Schlafzimmer des Duke gerufen.
    »Sie
haben sich Zeit gelassen«, sagte er zur Begrüßung, als sie den Raum betrat,
nachdem sie weniger als eine Minute nach dem Ruf an die Tür geklopft hatte.
»Sie waren vermutlich damit beschäftigt, mir die Haare vom Kopf zu fressen.«
    »Ich
hatte mein Frühstück bereits beendet, vielen Dank, Euer Gnaden«, sagte sie.
»Guten Morgen, Dr. Raikes.«
    »Guten
Morgen, Madam.« Der Arzt neigte höflich den Kopf
    »Nehmen
Sie diese Ungeheuerlichkeit ab!«, befahl der Duke auf Janes Haube deutend.
»Wenn ich sie noch einmal sehe, werde ich sie persönlich in sehr kleine Fetzen
schneiden.«
    Jane
nahm die Haube ab, faltete sie ordentlich und steckte sie in die Tasche ihres
Kleides.
    Ihr
Arbeitgeber hatte seine Aufmerksamkeit inzwischen dem Arzt zugewandt.
    »Miss
Ingleby hat den Verband gewechselt«, sagte er, offensichtlich als Antwort auf
eine Frage, die vor ihrem Eintreffen gestellt worden war, »und die Wunde
gesäubert.«
    »Sie
haben diese Aufgabe bewundernswert bewältigt, Madam«, sagte der Arzt. »Es ist
keinerlei Infektion oder Fäulnis erkennbar. Sie haben schon einige Erfahrung in
der Versorgung von Kranken?«
    »Ja,
ein wenig, Sir«, räumte Jane ein.
    »Sie
hat bestimmt an alle verdammten Waisen Abführmittel verteilt, wenn sie

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