0203 - Blizzard über New York
und durch den Verband hindurch rumoren. Nun kam er wieder in die Gaststube, hob die Schultern und schimpfte: »Die Gangster haben nichts zurückgelassen, nicht mal einen Zigarettenstummel. Wir werden unsere Spezialisten hinschicken müssen, aber ich fürchte, sie werden weder Fingerabdrücke noch sonstige Anhaltspunkte finden. Die beiden toten Verbrecher werden wir wohl anhand ihrer Prints identifizieren können. Damit kennen wir jedoch die beiden flüchtigen Ganoven, insbesondere den Boss, noch lange nicht. Am meisten aber stolpere ich über die Tatsache, dass die Bande den Schmuck und das Geld nicht bei sich hatte. Solche Mengen konnten sie nicht in der Westentasche verborgen haben.«
»Das ist doch nicht sehr erstaunlich«, rief ich aus. »Die Gangster werden die Beute inzwischen irgendwo versteckt haben. Sie hatten genügend Zeit dazu.«
»Natürlich«, gab Phil zu, wandte jedoch ein: »Um etwas verstecken zu können, braucht man ein Versteck. Und, das frage ich mich, warum haben die Ganoven nicht dort Unterschlupf gesucht, wo sie ihre Beute hinterlegt haben, sondern sich im Golden Key einquartiert?«
»Vielleicht befindet sich das Versteck an einem Ort, an dem man nicht wohnen kann.«
»Das halte ich für nicht sehr wahrscheinlich. Kein Mensch lässt ein derartiges Riesenvermögen unbewacht!«
»Deine Feststellung, Phil, muss ich einschränken. Insofern hast du allerdings recht, als kein Gangster das Risiko eingeht, dass zufällig ein Außenstehender auf ihre versteckte Beute stoßen kann.«
»Das heißt mit anderen Worten, dass die Gang ursprünglich aus mehr als vier Männern befand. Ich hatte mich sowieso schon gewundert, wie nur vier Leute es fertiggebracht haben sollen, die Sache mit den sechs Scheinwerfern im Empire Room auszuführen.«
»Eben, dieser Ansicht bin ich auch. Wir müssen damit rechnen, dass die Gang auch jetzt noch aus mehr als zwei Mitgliedern besteht. Aber was spekulieren wir hier herum? Im Head Quarter gibt es sicher Arbeit für uns. Kehren wir also zurück. Ich will mir von unserem Doc ohnehin an Stelle des Verbands ein Heftpflaster über die Wunde kleben lassen. Mit diesem unförmigen Turban kann ich mich ja nirgends sehen lassen.«
»Bevor wir ins Head Quarter zurückkehren, sollten wir nach Möglichkeit noch klären, wieso der Gangster hier als Dr. Brooks aufkreuzen konnte.«
»Sehr richtig! Besuchen wir also die Praxis von Dr. Brooks, das ist ja nicht weit von hier.«
Nachdem wir dem Polizisten eingeschärft hatten, keinen Unbefugten in das Lokal und besonders nicht in das Zimmer Nr. 7 zu lassen, klemmte sich Phil die Arzttasche unter den Arm, und wir machten uns auf den Weg zur Bowery 198. Es schneite immer noch, aber der Sturm hatte erheblich nachgelassen.
***
In welchem Zustand wir die Arztpraxis vorfanden, wissen Sie ja schon.
Wieder forderten wir die Mordkommission telefonisch an, aber wann sie eintreffen würde, das stand in den Sternen, beziehungsweise in den Schnee geschrieben.
Ich kramte in den herumliegenden Arzneischachteln. Plötzlich entdeckte ich zwei geleerte Ampullen.
»Phil, ich glaube, wir brauchen den Inhalt der Spritze nicht mehr untersuchen zu lassen. Lies mal, was auf den Ampullen da steht!«
»Curare!«, stieß Phil hervor und wurde bleich. »Das ist ja ungeheuerlich. Wenn dich der falsche Doc mit der Injektionsnadel auch nur hätte ritzen können, wärst du ein toter Mann gewesen. Du hast ihm buchstäblich im allerletzten Augenblick den prachtvollen Tritt verpasst. Aber, offen gesagt, du wirst mir so langsam direkt unheimlich. Demnächst kannst du in spiritistischen Zirkeln auftreten. Was du heute zwei Mal vorgeführt hast, grenzt doch an Hellseherei.«
»Ach Quatsch!«, wehrte ich ab. »Ich habe nichts weiter als beobachtet und meine Schlüsse daraus gezogen. An was ich die Gangster beim ersten Mal erkannte, habe ich dir doch schon erklärt. Den falschen Arzt hatte ich durchschaut, weil er vor der Injektion nicht die Spritze hochgehalten hatte, um eventuelle Luftblasen aus dem Serum zu drücken.«
»Donnerwetter«, staunte Phil. »Du merkst aber auch alles. Trotzdem, bei einer intramuskulären oder subkutanen Injektionen ist das doch weniger wichtig. Nur eine Luftblase, die in die Vene gerät, kann tödlich wirken.«
»Das mag stimmen. Aber ich habe noch nie einen Arzt gesehen, der den geradezu feierlichen Ritus, die Luft aus der Spritze zu entfernen, unterlassen hätte. Mir genügte es, dass der angebliche Dr. Brooks sich in diesem Punkt
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