021 - Aufbruch in die 'Neue Welt'
junger Mann erschien, viel kleiner und schlanker als Raspun. Schann der Koch, ein Fraacaner aus Parii. Hellblond, weißhäutig und mit mandelförmigen grünen Augen war er von derart augenfälliger Schönheit, dass es selbst Nuela für einen Moment den Atem verschlug. Sie war sonst nicht wählerisch.
Der Koch lächelte charmant - ein bisschen frivol, fand Nuela -, deutete eine Verbeugung an und verließ den Arbeitsraum. Nuela blickte ihm hinterher. Der Saum des weißen Gewandes, das er trug, schleifte über den Boden und war viel zu weit in den Schultern. Es gehörte Raspun, kein Zweifel.
Sie wartete, bis der Koch die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann ging sie zu den Sitzkissen am niedrigen Tisch, bückte sich und hob das kleinere Paar der Pantoffeln hoch. Sie präsentierte sie Raspun. »Aus deiner Kinderzeit?« Sie lächelte triumphierend. Ähnlich wie Bieena sie selbst kurz zuvor angelächelt hatte. Nur kälter und ohne wirkliche Freude.
Noch einmal bückte sie sich, um das grüne Gewand aufzuheben. »Er trug einen Umhang von dir.« Sie entfaltete das Kleidungsstück.
Raspun beobachtete sie mit ausdruckslosem Gesicht. Er hatte gelernt, Menschen gegenüber, die er fürchtete, seine Gefühle zu verbergen.
»Scheint aus deiner frühen Jugend zu stammen.« Sie warf es ihm zu, er fing es. »Hast du in Erinnerungen geschwelgt?« Mit einem Tritt beförderte sie einen der größeren Pantoffeln unter das Stehpult. »Es ist ein bisschen kalt, um barfuß zu laufen, findest du nicht?«
Sie ging zu ihm. Er wich nicht zurück, hielt ihrem Blick stand, zuckte nicht einmal mit Brauen oder Mundwinkeln.
»In deiner Heimat mag es normal sein, wenn Männer auch Männer lieben, Sklave«, fuhr sie fort. »Nicht so in Greeca, wo der Kapitaan herstammt.« Sie stemmte die Fäuste in die Hüften. »Dort verachtet man Männer, die so etwas tun. Wenn ich ihm berichte, was ich vor deiner Tür gehört haben…« Sie grinste ihm ins mittlerweile lehmfarbene Gesicht und hob drohend den Zeigefinger. »Oh, oh den hübschen Koch würde er den Haien zum Fraß vorwerfen und dich an irgendeinen Gladiatoren-Zirkus verkaufen.«
Er antwortete mit keinem Wort, mit keiner Geste, keinem Mienenspiel. Das ärgerte Nuela. Sie wandte sich ab und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich werde ihm nichts davon berichten«, sagte sie. »Und dafür wirst du dich bei mir revanchieren.«
»Wie?«, fragte Raspun mit einer Stimme, die nichts von seinem inneren Aufruhr verriet.
»Das werde ich mir noch überlegen.« Nuela fiel in einen schnippischen Tonfall. Wenige Dinge bereiteten ihr mehr Vergnügen, als einen Menschen in ihrer Hand zu haben. Nicht einmal die körperliche Liebe. Allenfalls noch einen Mann qualvoll sterben zu sehen. »Zunächst will ich nur einen kleinen Vorschuss.« Sie drehte sich um und blitzte ihn an.
»Welcher Art?«
»Du sagst mir alles, was du über die An- stellung des neuen Steuermanns weißt.«
»Nicht viel. Ich habe nur gehört…«
»Vergiss nicht, mich standesgemäß an- zureden!«, zischte sie böse. Raspun konnte nicht so schnell denken, wie die Miene der Hauptfrau sich in eine zornige Grimasse verwandelte.
»Nicht viel, ehrenwerte Nuela«, begann er noch einmal. »Ich habe nur gehört, dass Tuman mit einem Doyzländer verhandelt. Heute soll sich entscheiden, ob es zum Vertrag kommt. Wenn ja, werden wir in drei oder vier Tagen die Anker lichten.« Den letzten Satz betonte er. Ein Glitzern zog dabei durch seine Augen.
Nuela stieß ein zorniges Schnauben aus. So groß und breit dieser Schwarze war - er besaß feine Antennen für das, was in Anderen vorging. Auch Nuelas schwache Stelle kannte er genau.
Wir werden nicht in drei Tagen in See stechen, wollte sie schreien. Auch in vier und in vierzig Tagen nicht…
Sie biss sich auf die Zunge und atmete zweimal tief durch. »Falls der Kapitaan den Mann anheuert, will ich alles über ihn wissen«, sagte sie dann mit bedrohlich leiser Stimme.
»Und ich will, dass du mich ihm vorstellst. So unauffällig wie eben möglich…«
***
###
###
Matt spürte kaum den Boden unter den Füßen. Wie auf einer Wolke ging er. Kein Impuls wegzulaufen, keine Verzweiflung, kein Zorn - alles war so gleichgültig. Ob er lebte, ob er starb, ob er über den Marktplatz von Plymeth ging oder sonst irgendwo seine Zeit totschlug - ganz egal. Nur Durst hatte er - seine Kehle fühlte sich trocken an.
Einem Schlafwandler gleich trottete er zwischen Tumans Seeleuten über den Markt. Tuman, der
Weitere Kostenlose Bücher