0217 - Bleigeflüster als Finale
Mit wem wir 'auch sprechen, immer werden uns faustdicke Lügen aufgetischt nach dem bekannten Schema: Vera Ulster hat Sergeant Jones ermordet. Das Schlimme daran ist, daß wir den Schwindel nicht erkennen und noch viel weniger nachweisen können.«
»Angenommen, Jerry, du hättest recht. Was willst du tun, um die Irreführung aufzudecken? Ich sehe dafür keine Möglichkeit.«
»In erster Linie dürfen wir uns nicht auf das verlassen, was man uns bereitwillig sagt, gesteht und entdecken läßt! Tatsachen brauchen wir, und zwar von Leuten, die an dem Bluff beteiligt sind.« Phil zog skeptisch die Brauen hoch. »Schwierige Sache! Wie sollen wir an die Kerle ’rankommen? Wir kennen sie doch nicht mal.«
»Was nicht ist, kann noch werden. Wir haben da zum Beispiel den Gangster mit dem auffälligen Gesicht und dem Pferdekiefer. Nicht ausgeschlossen, daß Neville eine solche Type kennt. Dann ist da noch der Bomben- und Funkfachmann. Solche Leute sind selten. Möglich, daß Neville auch diesen Mann in seiner Kartei oder in seinem Gedächtnis führt. Wenn nicht, dann müssen wir uns mal die Studenten vornehmen.«
»Wie kommst du ausgerechnet auf einen Studenten?« fragte Phil erstaunt.
»Sehr einfache Überlegung: Die Techniker, Ingenieure und Chemiker, die bereits im Beruf stehen, sei es in der Privatwirtschaft, sei es bei der Army, sei es als Lehrkräfte, diese Leute verdienen ohne Ausnahme viel Geld, so daß sie es kaum nötig haben sich durch Verbrechen zusätzliche Einkünfte zu verschaffen.«
»Kein übler Gedankengang«, stimmte Phil bei. »Aber weißt du auch, daß es in New York vierunddreißig Universitäten und wissenschaftliche Colleges gibt? Bis deren Besucher alle überprüft sind, vergehen Monate.«
»So schlimm ist es auch wieder nicht. Ich nehme doch stark an, daß wir die Mediziner, die Theologen, die Soziologen, die Philosophen und so weiter ausscheiden können. Es genügt, wenn wir die naturwissenschaftlichen Fakultäten durchkämmen.«
Die Tür öffnete sich.
Vier Männer drängten herein, Männer mit tiefsitzenden Hüten und großen Sonnenbrillen, anscheinend Mitglieder irgendeines Kammerorchesters, denn sie hatten Musikinstrumente bei sich: der eine einen Geigenkasten, die anderen drei längliche Apparate in schwarzen Wachstuchhüllen, vermutlich Oboe, Fagott oder Klarinette. Ich kenne mich da nicht so genau aus.
»Kammermusik ist nicht mehr gefragt. Die Leute sollten umschulen auf Jazz«, dachte ich unwillkürlich, als ich die schlampige Kleidung der vier Männer und ihre stoppelbärtigen Gesichter sah.
Die Musiker blieben unschlüssig an der Tür stehen und ließen ihre Blicke suchend durch die Gaststube wandern.
Pech, hier gab es kein Publikum, für das sie spielen konnten.
Abgesehen davon, daß ein Speiserestaurant, und dazu noch um die Mittagszeit, kaum der geeignte Ort für die Aufführung schwerer und klassischer Musik sein dürfte, müßte das Quartett gegenwärtig draußen auf der Canal Street musizieren.
Dort waren Menschen in hellen Scharen versammelt.
Ob sie jedoch zuhören würden, das war eine andere Frage.
Eigentlich merkwürdig, wie diese Musiker ihre Lärmfabriken trugen: an einem Riemen über die Schulter und mit dem Ellenbogen waagerecht in die Hüfte gestemmt.
Waren das etwa Angehörige eines Kriegerklubs? Dort pflegten die Mitglieder ja auch ihre Regenschirme demonstrativ wie Gewehre zu schultern. Diese Orchesterstrategen hatten dann eben ihre Instrumente wie schußbereite Maschinenpistolen umgehängt.
»Jerry, volle Deckung!« brüllte da auch schon Phil mit voller Lautstärke.
Solche Aufforderungen kommen bei mir ohne jegliche Verzögerung an.
Gleichzeitig mit Phil sprang ich auf und setzte mit einer eleganten Flanke über die Theke. Leider standen einige Speiseplatten im Weg.
Ich riß sie mit und landete deshalb hinter der Theke in Kartoffelsalat und Bratensoße. Spinat, Erbsen und Bohnen kullerten nach.
Ein Höllenlärm brach los.
Das waren auch Bohnen. Aber aus Blei mit einem Stahlmantel.
Zum Glück war die Wand der Theke aus dickem solidem, mit Eisenblech beschlagenem Holz, das den MP-Geschossen standhielt. Das wütende Prasseln der Einschläge war gut zu hören.
Ohne Übertreibung, das sonderbare Quartett spielte mit vollendetem Geschick auf den ebenso sonderbaren »Musikinstrumenten«, und zwar gelangte zur Aufführung eine jener modernen Kompositionen, die ja — wenigstens für meine Ohren — im wesentlichen nur aus betäubendem Lärm und
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