022
begann. Durch den Sommerregen war das Erdreich weich und gab leicht unter der Schaufel nach. Der Graf hielt die Fackel und sah zu, wie Roger Schaufel auf Schaufel Erde auf das Gras häufte. Rogers Schultern schmerzten, während er eine Grube aushob, die ungefähr drei oder vier Fuß tief und mehrere Schritte breit war. Schließlich straffte er sich und wischte sich mit schmutziger Hand den Schweiß von der Stirn. „Bist du sicher, dass du dich nicht geirrt hast, Mylord? Ist das die Stelle?"
„Ja. Ich habe hier oft genug geweint, nachdem ich heimgekehrt war. Meine Mutter hat mich hergeführt, mir die frisch aufgeworfene Erde gezeigt und gesagt: ,Kurz nach deiner Abreise, Richard, ist Glynis am Fieber gestorben.'"
„Nun, wie du sehen kannst, liegt sie hier nicht. Es gibt keinen Sarg und keine Knochen. Sie wurde an Gilbert de Nantes verkauft. Er sollte sie benutzen und dann töten. Man konnte nicht wissen, dass er des angelsächsischen Mädchens nicht überdrüssig werden und es bei sich behalten würde. Glynis hat mir erzählt, dass sie sterben wollte, aber sie wusste, dass sie mich unter dem Herzen trug, und dann hat sie mich in Gilberts Festung zur Welt gebracht und jeden denken lassen, ich sei sein Kind."
„Sie lebt noch immer!" Richards Stimme hatte dumpf geklungen. „Heilige Mutter Gottes! Warum hat Glynis sich nicht an mich gewandt?"
„Das wollte sie nicht. Verstehst du, sie hatte an Gilberts Tafel gehört, du hättest geheiratet."
„Ja, aber meine Gemahlin ist im Kindbett gestorben. Mein Vater hatte ein normannisches Mädchen aus vornehmer Familie für mich ausgesucht." Verbittert schüttelte der Graf den Kopf. „Und in all diesen Jahren hat Glynis gelebt. Du lieber Himmel! Ich habe mir eine andere Frau genommen, während meine Gattin noch lebte!"
„Deine Gattin?"
„Ja, hat sie dir das nicht erzählt? Ihre Familie wollte keine Verbindung mit normannischem Blut und meine keine mit angelsächsischem. Glynis war rein, als sie zu mir kam, Roger, und wir haben erst miteinander geschlafen, als wir uns vor der Kirchentür miteinander verlobten, was ebenso bindend ist wie eine Trauung.
Nachdem das geschehen war, sahen wir uns dem Zorn unserer Familien ausgesetzt."
Richard straffte sich und schaute in die Dunkelheit. „Wäre ich nicht mit William zu Felde gezogen, hätten die Dinge sich sehr anders entwickelt."
Langsam richtete er die Aufmerksamkeit wieder auf Roger. „Du bist, falls du Glynis'
Sohn bist, nicht mein Bastard. Du bist Roger de Brione."
„Jesus!" „Ja."
„Das hat meine Mutter mir nie erzählt."
„Vielleicht hat sie gedacht, das Verlobungsversprechen sei nicht bindend, oder ich hätte sie verstoßen." Richard de Brione stand auf und schaute verlegen Roger an.
„Im Moment empfinde ich nichts, Roger. Ich bin nicht an den Gedanken gewöhnt, einen Sohn zu haben. Und du bist ein erwachsener Mann."
„Ich hatte keine väterlichen Gefühle erwartet."
„Etwas musst du erwartet haben. Du bist meiner Hilfe wegen hergekommen."
„Ich hatte die Absicht, dir als dein Bastard entgegenzutreten und dich zu bitten, dass du mir zumindest dabei hilfst, dem Zorn Robert de Belesmes standzuhalten, vielleicht sogar dem Courteheuses."
„Belesme?" Richard war zusammengezuckt.
„Ja. Siehst du, ich bin mit seiner Braut davongelaufen."
Es war fast Morgen, ehe Roger und der Graf sich zu Bett begaben. Er hatte in Richards Gemach gesessen und die ganze Geschichte von seinem und Eleanors Leben in Nantes erzählt. Er hatte von ihrer beider Elend gesprochen, als sie Kinder gewesen waren, von seinem Aufstieg in Williams Haushalt, von Eleanors Exil in Fontainebleau, von Prinz Henry, von Robert de Belesme und von Fuld Nevers, Er hatte von der Flucht aus Rouen berichtet und der Überfahrt auf Walters Schiff sowie der anschließenden Reise nach Harlowe. Der Graf hatte aufmerksam zugehört und gelegentlich eine Frage gestellt, wenn die Geschichte ihm zu verworren erschienen war, um sie begreifen zu können. Das Einzige, was Roger sich zu gestehen nicht hatte überwinden können, war sein starkes Verlangen nach Eleanor. Das war immer noch eine zu persönliche Sache, um darüber zu reden.
Nachdem er seine Geschichte beendet hatte, hatte Richard de Brione sich zurückgelehnt und den Sohn unter halbgesenkten Lidern betrachtet. Einen Moment lang hatte Roger
gedacht, der Graf sei eingeschlafen. Schließlich hatte dieser tief geseufzt und den Kopf geschütttelt. „Ja, es lässt sich nicht ändern. Du wirst die
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