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lieber mit dir ziehen, als die Frau irgendeines Fremden zu werden."
„Nun, vielleicht wird er dann kein Fremder mehr für dich sein."
„Roger, hast du je jemanden geliebt?" fragte Eleanor.
„Ich liebe dich."
„Das weiß ich, aber das ist etwas anderes. Ich meine, hast du je eine Frau geliebt?"
Abrupt stand er auf. „Ja."
Aus einem unerklärlichen Grund hatte Eleanor das Gefühl, das Herz sänke ihr in die Knie. Und warum hätte Roger keine Frau lieben sollen? Schließlich war er nicht nur ihr Bruder, sondern auch ein Mann. „Diese Frau . . . würde ich sie mögen?" fragte sie beiläufig.
„Manchmal. Ich weiß, dass ich sie bezaubernd finde, schön, gütig und geistvoll."
„Ich verstehe. Nun, hast du schon um ihre Hand angehalten?"
„Lea, dazu hatte ich noch nicht die Mittel. Niedrig geborene Bastarde können ihre Liebe nicht immer derjenigen schenken, der ihr Herz gehört." Er brach eine Blume ab und reichte sie Eleanor. „Meine Dame könnte einen Prinzen haben, wenn sie das wollte. Ich bezweifele, dass sie Gefallen an mir fände."
„Nein, jede Frau wäre stolz, dich ihren Ehemann nennen zu können, Bruder."
„Ich hoffe, du hast Recht."
Eleanor schwankte zwischen einem starken Widerwillen gegen die unbekannte Dame und der Neugier, mehr über die
Frau zu erfahren, die das Herz eines Mannes wie Roger erobern konnte. „Du bist jetzt der Herr der Condes. Kannst du als solcher nicht um die Hand dieser Frau bitten?"
„Das kann ich nicht. Noch habe ich nicht die Mittel."
„Und für mich würdest du alles verlieren." Traurig schüttelte Eleanor den Kopf.
„Nein, Roger, ich kann dich das nicht tun lassen. Du hast es verdient, mit deiner Dame glücklich zu werden, und ich bin hier im Kloster sicher genug."
„Ich bin dein Streiter, Lea."
„Ein törichtes Kindheitsgelöbnis, Roger. Gott wird dir verzeihen, wenn du es nicht halten kannst."
„Schon möglich, aber ich könnte mir nicht verzeihen. So, wie die Dinge liegen, habe ich schon viel zu lange gewartet, um das dir gegebene Versprechen zu halten. Aber wir reden über Liebe, obwohl wir Pläne machen sollten", fügte Roger in scherzhaft tadelndem Ton hinzu. „Wann kommt Gilbert dich holen? Oder kommt Robert persönlich?"
„Mein Vater. Ich muss am Beginn des Sommers in Rouen sein."
Roger pfiff leise. „So schnell? Der Bräutigam muss ungeduldig sein."
„Ja." Eleanor hatte das Gefühl, einen trockenen Mund zu bekommen, als sie sich des Ausdrucks von Belesmes Gesicht entsann, während er sie entkleidet hatte.
Unwillkürlich hob sie die Hand an ihr immer noch verfärbtes Kinn.
„Nun, viel Zeit bleibt uns nicht, aber wir werden da sein. Und nun sage ich dir, was du tun sollst. Du wirst an Robert schreiben und ihm mitteilen ..."
5. KAPITEL
Steif saß Robert de Belesme ab und zwang die schmerzenden Beine, die fünfzig Schritt über die unebenen Kopfsteine des Hofes von Kastell Belesme zu gehen. Steif, müde und wund vom Ritt aus dem Vexin, hatte er den Eindruck, dass alles ihm gleichzeitig wehtat - die Beine, der Rücken und der Kopf. Dennoch war seine Laune für einen Mann von unausgeglichenem Wesen bemerkenswert gut. In den vergangenen Wochen hatten die Dinge sich in seinem Sinne entwickelt, und er war imstande gewesen, König Philippes Truppen ein wenig zurückzudrängen. Für seine Bemühungen müsste er gut belohnt werden. Bei der Zisterne blieb er stehen, nahm den Helm ab und schob den Kettenkopfschutz von den feuchten schwarzen Haaren.
Ein Page hastete herbei und füllte ihm einen Becher mit Wasser, das er zunächst dafür benutzte, seinen Durst zu stillen, und dann, sich den Staub und Schweiß vom Gesicht zu waschen.
Er trocknete sich mit einem Zipfel seiner grünen Tunika ab, straffte sich und schaute zu den Fenstern des Solars seiner Mutter hoch. Es war eigenartig, dass sie nach der langen Trennung nicht heruntergekommen war, um ihn zu begrüßen. In dem Moment, da er anfing, die Treppe zum Solar hinaufzusteigen, empfand er ein Unbehagen, das zur Kenntnis zu nehmen er sich weigerte.
Die Mutter stand an dem hohen, schmalen Fensterschlitz. Dichter hatten über ihr feuerrotes Haar und ihre grünen Augen geschrieben, die angeblich Männer in Versuchung führten, doch Mabilles Augen hatten nichts Betörendes an sich, als sie sich umdrehte und ihren Sohn ansah.
„Nantes!" fauchte sie ihn ohne Begrüßung an. „Robert, wie konntest du?"
„Ach, es scheint, du hast meine Nachricht bekommen, Mutter." Er betrat das Gemach und
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