0226 - Jagd auf Staatsfeind Nr. 1
bekommen.«
»Wie sieht es mit anderen Spuren aus?«
»Insgesamt sind uns einhundertzweiundsiebzig Personen aus der Bevölkerung als verdächtig gemeldet worden. Wir sind natürlich jeder einzelnen Spur nachgegangen. Einhundertachtundvierzig erwiesen sich verhältnismäßig schnell als blinder Alarm. Fünfzehn weitere Personen wurden bei der Begehung eines kleines Delikts ertappt. Die letzten neun können für die Tatzeit der Entführung kein glaubhaftes Alibi beibringen, erscheinen aber nicht unbedingt als verdächtig. Sie stehen unter Beobachtung.«
»Sie haben ja eine Mordsarbeit geleistet, Phil«, sagte der Chef und sah mitfühlend auf Phils ausgemergeltes Gesicht.
Phil zuckte die Schultern.
»Das Übliche. Aber ich bin nicht zufrieden. Wir haben keine wirklich verheißungsvolle Spur. Und außerdem ist das Ganze jetzt schon so lange her, dass…«
Er vollendete den Satz nicht. Mister High stand auf. Er blieb neben Phil sehen.
»Sie wollten sagen; dass kaum noch Hoffnung besteht die Kinder lebend zu finden, nicht wahr?«
Phil nickte schweigend. Seine Lippen waren so hart aufeinandergepresst, dass sie zwei schmale, weiße Striche in seinem hageren Gesicht waren.
»Ja«, stimmte Mister High tonlos zu. »Ich fürchte, wir müssen uns alle mit diesem entsetzlichen Gedanken vertraut machen.«
Phil sprang auf. -Die angestaute Spannung der letzten Tage brach aus ihm heraus wie ein Vulkanausbruch
»Chef!«, rief er aus, »was hätte ich denn auch tun können? Wir sind jeder Spur, jedem winzigsten Hinweis nachgegangen. Meine Männer sind seit Tagen nicht aus den Schuhen gekommen. Wenn sie sich eine Stunde Ruhe abzwacken können, werfen sie sich im Bereitschaftsraum auf ein Feldbett. Wenn man sie wieder weckt, torkeln sie wie Betrunkene durch die Gegend. Sie alle haben ihr Bestes gegeben, und keiner hat auch nur einen Mucks gesagt, wenn sie sich wieder eine Nacht um die Ohren schlagen mussten. Was hätten wir denn auch noch tun sollen? Wir haben innerhalb einer Woche zweitausendsechshundert Leute vernommen! Auf meinem Schreibtisch passen die Protokolle, die Befunde und Berichte überhaupt nicht mehr drauf! Was sollen wir denn poch tun?«
Seine Stimme war schrill geworden. Es war offensichtlich, dass er kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand.
»Kommen Sie bitte mit, Phil«, sagte der Chef mit steinernem Gesicht.
Phil folgte ihm. Verwundert stellte er fest, dass der Chef das Zimmer des Arztes auf suchte.
»Doc«, sagte der Chef. »Ich möchte, dass Sie Phil irgendetwas geben, was ihn mindestens fünf Stunden in tiefen Schlaf versetzt.«
Phil wich einen Schritt zurück.
»Nein, Chef!«, sagte er erschrocken. »Ich kann doch jetzt nicht…«
»Sie können, Phil«, sagte der Chef ernst. »Und Sie werden. In fünf Stunden gehen Sie wieder an Ihre Arbeit. Was bis dahin anfällt, erledige ich selbst.«
»Aber…«
»Phil! Wollen Sie es verantworten, wenn Sie einen entscheidenden Fehler machen, nur weil Sie am Rande eines Zusammenbruches stehen und Ihre fünf Sinne nicht mehr beisammen haben? Ich erwarte, dass Sie in fünf Stunden sich wieder zum Dienst melden. Bis dahin will ich Sie allenfalls schlafend auf einem Feldbett sehen! Das ist ein Befehl, Phil, und ich hoffe, Sie haben verstanden, was das bedeutet!«
Phil nickte.
»Ja, Chef«, sagte er. »Ich hab’s verstanden…«
Er ließ sich auf einen Stuhl fallen. Seine Augen blieben halb offen. Trotzdem sagte der Arzt auf einmal leise: »Ich brauche ihm nichts zu geben. Er schläft ja schon. Mein Gott, diese Geschichte bringt uns alle noch um den Verstand. Was dieser Mann da in einer Woche geleistet hat, Mister High, das geht über jedes Fassungsvermögen.«
Der Chef öffnete mit behutsamen Fingern Phils Kragen.
»Ich weiß, Doc«, erwiderte er leise. »Wenn es einen gibt, der es ganz genau weiß, dann bin ich das.«
Mister High hatte sich aufgerichtet. Er sah den Arzt groß an. Auch die Augen des Chefs lagen in den Höhlen. Auch seine Hände waren nicht mehr so ruhig wie sonst. Auch seine Wangen zeichneten auf einmal tiefe Schatten.
Er drehte sich um und verließ abrupt das Zimmer. Der Arzt starrte hinauf zu dem großen Emblem, das an der Wand hing. Der blaue Stern mit den goldenen Zacken. Die Waage der Gerechtigkeit über den Farben der Nation.
***
»Hören Sie, Doc«, sagte ich, und es war mir verdammt ernst. »Entweder Sie lassen mich an diesen verdammten Krücken täglich ein paar Stunden spazieren gehen - oder ich verschwinde aus diesem Haus und
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