023 - Das Kastell der Toten
als er sich mit der Schulter dagegenstemmte.
Keuchend hielt er inne, sah sich mit flackernden Augen um — aber er konnte keinen Ausweg entdecken.
Er war gefangen.
Lebendig begraben...
Und als er sich abwandte und erschöpft auf eine der Stufen sank, konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, dass einer der beiden leeren Särge sein eigener war...
***
Björn Springdaal glaubte zu träumen.
Er blinzelte heftig. Aber das Bild vor seinen Augen blieb, war Wirklichkeit. Mitten in den Abruzzen, weitab von der nächsten menschlichen Ansiedlung, stand ein Mädchen am Straßenrand und winkte.
Springdaal stieg auf die Bremse.
Die Autoscheinwerfer erfassten langes kupferrotes Haar, eine provozierend gute Figur in Jeans und engem Rippenpulli. Björn knipste prompt sein charmantestes Lächeln an. Er hoffte, dass das Mädchen in Richtung Neapel wollte. Sie sah aufreizend aus, alles andere als prüde, und sie war jedenfalls nicht so jung wie Philippa, bei der er sich wie ein Schuft vorgekommen wäre, wenn er ihre schwärmerische Verliebtheit ausgenützt hätte.
Dieser Rotschopf war sicherlich aus anderem Holz geschnitzt. Und bei der Vorstellung der gemeinsamen nächtlichen Autofahrt kam Björn auf ein paar sehr spezielle Gedanken.
Immer noch lächelnd zog er die Handbremse an und stieß den Wagenschlag auf.
Als er ausstieg, wandte sich das Mädchen plötzlich um. Ihre rote Mähne flog wie eine Fahne. Mit ein paar Schritten hatte sie einen Felsenvorsprung erreicht und war im Schatten verschwunden.
Björn runzelte die Stirn.
Die Kleine kann Gedanken lesen, dachte er amüsiert. Sie fürchtete sich offenbar. Oder sie wollte aus Prinzip nicht mit einem einzelnen Mann fahren. Allerdings würde sie lange warten müssen, bis an dieser Stelle noch ein anderer Wagen vorbeikam.
»Hallo, Signorina!« rief Björn in seinem etwas holprigen Italienisch. »Sie brauchen wirklich keine Angst vor mir zu haben. Kommen Sie zurück!«
Er erhielt keine Antwort.
Aber er wollte auch nicht einfach weiterfahren. Das Mädchen trieb sich sicher nicht zum Vergnügen hier herum — sie musste sich verlaufen haben oder Vielleicht mit einer Autopanne liegengeblieben sein, Jedenfalls brauchte sie Hilfe, und er konnte sie nicht einfach hier in der Einsamkeit zurücklassen und so tun, als sei nichts gewesen.
Unter diesen Gedanken hatte er den Felsenvorsprung erreicht.
Ein tiefer Einschnitt lag dahinter, in dem sich die Dunkelheit dicht und undurchdringlich wie schwarze Watte ballte. Björn konnte nicht erkennen, ob es sich nur um eine Mulde handelte oder den Beginn einer engen Schlucht. Er runzelte die Stirn und kniff die Augen zusammen.
»Signorina?« rief er halblaut.
Keine Antwort. Nur der Wind sang zwischen den Felswänden. Irgendwo polterte ein Stein und...
Björn biss sich auf die Lippen.
Täuschte er sich, oder hatte er tatsächlich ein schwaches Stöhnen gehört? Entschlossen wandte er sich ab, ging zu seinem Wagen zurück und nahm die Taschenlampe von der Ablage.
Zwei Minuten später stand er wieder neben dem hochragenden Felsblock und leuchtete in die Spalte hinein.
Sie erweiterte sich nach ein paar Metern, schien tatsächlich den Eingang einer Schlucht zu bilden. Wie ein bleicher, gespenstischer Finger tastete der Lichtstrahl über Staub, grauen Stein und bizarre Felsformationen.
»Signorina!« rief Björn Springdaal lauter. »Melden Sie sich! Sie werden sich verirren und ...«
Er stockte.
Irgendetwas glimmte vor ihm auf. Er ließ den Lichtkegel zurückwandern ... und blickte in die grünschillernden Lichter einer großen schwarzen Katze.
Das Tier kauerte auf einem Felsvorsprung und machte einen Buckel. Die Schwanzspitze zitterte. Im ersten Moment war Björn Springdaal zusammengezuckt, jetzt grinste er.
»Verschwinde«, knurrte er und machte eine Geste, um die Katze zu verscheuchen.
Sie duckte sich.
Björn sah, wie sich die geschmeidigen Muskeln des Tieres spannten — und gleichzeitig drang ein wütendes Fauchen an sein Ohr. • Ein Fauchen, das genau aus der entgegengesetzten Richtung kam.
Springdaal wandte sich um.
Die zweite Katze kauerte zwischen dürren Grasbüscheln in einer Mulde. Auch sie war schwarz, mit ein paar hellen Flecken auf dem Rücken. Die grünen Augen schienen spöttisch zu funkeln und...
Spöttisch?
Björn schüttelte den Kopf, schalt sich selbst einen Narren — und in der gleichen Sekunde sah er die dritte Katze.
Sie kam aus einer Felsspalte, lautlos und geduckt. Eisblaues Fell schimmerte, kalte
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