0234 - Macht und Mythos
helfen.«
Sheila hatte ein Niemals auf der Zunge, doch sie wagte nicht, das Wort auszusprechen. Sie dachte an Janes Warnung, deshalb hielt sie den Mund.
Jane Collins spürte, wie Sheila innerlich mit sich rang. Sie ließ sie noch ein wenig im unklaren, bevor sie ihr erklärte, was sie wollte.
»Hör mir genau zu, Sheila Conolly. Du brauchst nicht viel zu tun. Ich will nur eins…« Sie legte eine Kunstpause ein und wartete auf Sheilas Frage, die auch kam.
»Was willst du denn?«
»Karas Schwert!«
***
Hesekiel!
Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Die Worte des schwerverletzten Mannes hatten mich regelrecht aufgewühlt. Mit allem hätte ich gerechnet, nur nicht damit.
Aber der Prophet Hesekiel hatte vor Christi Geburt gelebt. Etwa rund 500 Jahre. In seiner Zeit hatte er die Voraussagen treffen können, gelangte schließlich in babylonische Gefangenschaft und hatte dort seine Propheterien beendet.
In der letzten Zeit war viel über den Propheten geschrieben worden. Man nahm seine Weissagungen ernster als früher, die Menschen besannen sich wieder auf die alten Dinge, aber dass Hesekiel ein Kreuz hergestellt haben sollte, war mir neu.
Andererseits: Welchen Grund sollte der Alte gehabt haben, mich anzulügen? Wohl keinen, davon ging ich aus. Also glaubte ich ihm.
Ich musste trotz allem ein ungläubiges Gesicht gezogen haben, denn der Verletzte begann zu lächeln.
»Ich sehe dir an, John Sinclair, dass du es nicht wahrhaben willst…«
»Doch, doch…« Heftig nickte ich. »Es kommt nur alles so überraschend, weißt du. Bisher bin ich von völlig anderen Voraussetzungen ausgegangen, was das Kreuz betraf.«
»Von welchen?«
»Nun, ganz einfach. Ich war der Meinung, dass mein Kreuz von den alten Makkabäern abstammt.«
»Das ist im Prinzip auch richtig, denn vor dir liegt ein Makkabäer.«
Jetzt war ich erstaunt. »Du bist…?« Ich schluckte. »Du bist tatsächlich ein…?«
»Ja, ich bin ein Makkabäer, und die Pyramide des Wissens hat dich in eine Zeit gebracht, die fast 1000 Jahre nach Hesekiel liegt.«
Ich rechnete hastig nach. Wenn das stimmte, war ich unter Umständen im vierten oder fünften Jahrhundert gelandet. Deshalb auch die Römer, denn sie hielten die damals bekannte Welt um diese Zeit fast völlig besetzt. Sie waren ja bis zum Rhein gelangt und hatten auch in Gallien, dem heutigen Frankreich, gesessen.
Die Ehrfurcht vor dieser Tatsache machte mich verlegen. Ich fühlte mich zwischen den Mühlsteinen der Zeit und hatte Angst, von ihnen erdrückt zu werden.
»Wir Makkabäer haben uns abgespalten und leben so ziemlich für uns. Allerdings werden wir verfolgt und gejagt. Wir können unsere Lehren nicht verbreiten, aber wir haben das Erbe verwaltet. Du kommst aus der Zukunft und zeigst mir dein Kreuz, das mir erst vor einigen Monden entwendet worden ist.«
»Wieso?«
»Man hat es mir gestohlen.«
Ich hielt den Atem an, denn abermals wurde ich mit etwas Unwahrscheinlichem konfrontiert. Dem Alten war das Kreuz weggenommen worden. Es hatte dann eine unbekannte Odyssee durch anderthalb Jahrtausende unternommen, bis es endlich bei mir gelandet war. Und ein Zeitsprung hatte mich zu dem Alten gebracht.
Das musste ich erst einmal fassen…
Der Verletzte merkte dies und ließ mich in Ruhe. Ich war wohl blass geworden, denn er fragte: »Ist dir nicht gut, John Sinclair?«
»Es… Es geht schon wieder.«
»Ich kann mir vorstellen, dass es für dich schwer sein wird, das alles zu begreifen, für mich aber hat sich der Kreislauf geschlossen. Ich weiß endlich, dass der letzte Sohn des Lichts sein Erbe bekommen hat. Dieses Wissen wird mich in einen sanften Tod begleiten.«
»Aber wieso weißt du von mir?« rief ich. »Bist du auch ein Hellseher oder Prophet?«
»Nein, aber ich habe die Bücher Hesekiels sehr genau studiert. Dort ist zwar nicht von einem Kreuz die Rede, aber Freunde, die mit ihm in babylonischer Gefangenschaft waren, haben meinen Vorfahren erzählt, dass er in der Fremde damit begonnen hat, das Kreuz herzustellen.«
»In der Gefangenschaft?« wunderte ich mich.
»Ja, John Sinclair. So ist es. Er hat damals schon gesehen, dass ein Ereignis eintritt, das die Menschen als Zeitwende nehmen werden. Als den Beginn einer neuen Zeitrechnung. Er wusste, dass der Erlöser kommen würde, und er hat all sein Wissen in dieses Kreuz hineingelegt. Zukünftiges Wissen und vergangenes Wissen.«
»Was meinst du mit vergangenes Wissen?«
Der Alte lächelte. »Ich weiß nicht, ob man sich in
Weitere Kostenlose Bücher