0236 - Ich ging in die Höhle des Löwen
hat mir bisher gesagt, wer Ihren Verein, Chef, auf mich aufmerksam gemacht hat. Okay, ich weiß, daß die Polizei nicht dazu verpflichtet ist. Bei euch geht’s zu wie in einem Heiratsinstitut. Diskretion zugesichert. — Meinetwegen, denn ich weiß auch ohne ausdrückliche Bestätigung, daß Allan Ruster Ihnen den Tip gegeben hat, mit mir würden Sie den Räuber der ,Carolina-Bank' fassen.«
Walbruns Zigarre erkaltete zum zweiten Male zwischen seinen Lippen. Er war zu verwirrt, um mich am Weitersprechen zu hindern.
»Sehen Sie, Chef«, fuhr ich mit einem gewissen Genuß fort: »Als irgendwer die Bank ausraubte, da war das für Allan Ruster ein schwerer Schlag, denn er hielt sich für den unumschränkten Gangsterkönig von Charlesville. Es ging nicht darum, daß der Unbekannte ihm eine Beute wegnahm, die er für sich selbst reserviert hatte. Wahrscheinlich war Ruster überhaupt noch nicht auf den Gedanken gekommen, die Bank zu berauben. Seine Einkommensquellen flossen stetig, und er war nicht darauf angewiesen, mit einem Schlag einen großen Fisch an Land zu ziehen. Andererseits konnte er nicht dulden, daß sich ein anderer in seinem Revier mausig machte. Er strengte sich mächtig an, diesen anderen zu finden. Der Henker mag wissen, warum er auf den Gedanken kam, ich sei dieser Bursche. Jedenfalls kam er darauf. Zuerst versuchte er daraufhin, die fünfundsechzigtausend Dollar von mir loszueisen. Ein Mann wie Ruster ist immer der Ansicht, daß, wenn schon ein Haufen Dollar aus einem Tresor in eine fremde Tasche wandert, daß es auf jeden Fall seine Tasche sein muß. Andererseits verdient er genug, um auch eine solche Summe verschmerzen zu können. Nicht hingegen kann er einen Konkurrenten dulden. — Mich hielt er für den Konkurrenten, und er ließ seine Leute los, um mich zu durchlöchern. Sie versuchten es einige Male, hatten aber leider kein Glück.«
Ich legte eine Pause ein, um Chester Walbrun Gelegenheit zu einer Entgegnung zu geben, aber ganz offensichtlich hatte er nichts zu sagen. Ich konnte meine Rede fortsetzen.
»Bis zu diesem Punkte sind wir uns einig, nicht wahr. Chef. Jetzt wird die story sür Sie interessant, und für mich Witzig. Weil ich vor seinen schießfreudigen Gorillas nicht davonlief, kam Allan Ruster plötzlich auf den Gedanken, ich sei doch nicht der Bankräuber, eine geradezu lobenswerte Einsicht. Dafür aber entsprang seinem Gehirn eine neue Idee, und diese Idee, Chef, hat er Ihnen sorgsam verschwiegen. Mr. Walbrun, Ihr Freund, Allan Ruster, hält mich für einen FBI.-Beamten.«
In den nächsten zehn Sekunden bot der Polizeichef von Charlesville einen erstaunlichen Anblick. Er wechselte die Farbe so rasch, als gäbe es in ihm einen Schalter, der an- und ausgeknipst würde. Er wurde blaß, dann feuerrot, dann wieder blaß. Dann sprang er auf und wurde wieder rot.
»Das ist nicht wahr!« röhrte er wie ein Hirsch, der zu Tode getroffen wurde.
»Was soll nicht wahr sein? Daß ich ein G.-man bin? Selbstverständlich bin ich das nicht. — Aber daß Ruster mich dafür hielt, und daß er Sie benutzte, um es herauszufinden, das stimmt. Ruster kennt die Methoden, die Sie und Ihre Leute anzuwenden belieben. Er erwartete, daß ich sehr rasch meine wahre Identität enthüllen würde, sobald Sie anfingen, die Methoden an mir auszuprobieren. Aus diesem Grunde hielt er es für geraten, Sie nicht zu warnen. Da er schlau ist und Sie, Chef, genau kennt, nahm er an, Sie könnten mich mit zu großer Zartheit behandeln, falls er Ihnen verriet, daß er einen Geheimagenten in mir vermutet; und diese Zartheit könnte mich veranlassen, meine Rolle weiterzuspielen. Wissen Sie, Chef, ich sage das Ihnen nur, damit Sie nicht erneut Leutnant Sharkey und Sergeant Bred erlauben, sich an mir auszutoben.«
Ganz allmählich nahm Walbruns Gesicht eine Färbung an, die als einigermaßen normal bezeichnet werden konnte. Er begann, in dem Zimmer auf und ab zu gehen. Jedesmal, wenn er an mir vorbeikam, warf er mir einen Blick zu, der durchdringend sein sollte.
Schließlich entnahm er der Zigarrenkiste eine neue Brasil und steckte sie an. Dann kam er um den Schreibtisch herum und baute sich vor mir auf.
»Kräftige Geschichte«, kläffte er mit seiner fetten Stimme. »Du bist also kein G.-man? Warum sollte ich dich also nicht weiter in Sharkeys und Breds Behandlung geben?«
»Warum wollen Sie länger für einen Mann arbeiten, Chef, der Sie ’reinlegen wollte? Außerdem müssen Sie bedenken, daß mir doch irgendwann
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