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024 - Lebendig begraben

024 - Lebendig begraben

Titel: 024 - Lebendig begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Walker
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war da noch Bert Moser, ein schnaufender Vierziger, das Polizeioberhaupt der kleinen Gemeinde, ein junger blonder Kerl, der kaum ein Wort sprach und mich nur stumm musterte, sein Hilfspolizist, und ein hagerer, weißhaariger Mann, der auf den ersten Blick wie ein Arzt aussah, Doktor Fechner. Er konnte sich am wenigsten mit der Tatsache abfinden. Ich hatte manchmal das Gefühl, dass er mich am liebsten fragen wollte: Warum leben Sie eigentlich noch? Stattdessen hörte er sich den Bericht Rain-felders an und schüttelte den Kopf, während Moser und der Junge nur bleich lauschten.
    Ich hörte die Geschichte nun zum dritten Mal, aber erst jetzt fielen mir ein paar Dinge auf, die mir vorher in meinem halbbetäubten Stadium entgangen waren.
    Rainfelder war das Ufer mit seinem Kahn abgefahren und hatte, wie er es nannte, Tiefenmessungen vorgenommen, das heißt, er hatte mit einer langen Stange im See herumgestochert, um eine günstige Stelle für einen Landungssteg zu finden. Dabei war ich hochgekommen, mit Strickresten an den Füßen, als ob ich gefesselt gewesen wäre. Er hatte mich herausgezogen, gesehen, dass ich für eine Wasserleiche noch recht frisch aussah, mich aber doch für tot gehalten, die Stelle markiert und mich mit dem Wagen zu seinem Haus gebracht. Er hatte gute zwei Stunden dort am Ufer verbracht und nicht bemerkt, dass jemand ins Wasser gestoßen worden oder gefallen war. Demnach hatte ich mindestens zwei Stunden auf dem Grund des Sees gelegen. Und selbst wenn man in Betracht zog, dass er zu beschäftigt war, um mich zu sehen, musste ich länger im Wasser gelegen haben, als es der beste Taucher dort unten aushalten würde.
    Ich verstand den Doktor. Ich war eine Leiche. Und hier saß ich, lebendig wider aller Vernunft.
    Ich fröstelte und hatte alle Mühe, die Kälte zurückzudrängen.
    „Was haben Sie dazu zu sagen?“
    fragte mich Moser mit spröder Stimme.
    „Ich lebe“, würgte ich hervor. „Das scheint Ihnen Kopfzerbrechen zu bereiten. Und ich fürchte, Sie haben mich angesteckt.“
    „Sie sollten es von der erfreulichen Seite nehmen“, meinte der Doktor trocken.
    „Ja, dass ich lebe – sicher. Aber …“ Ich zuckte hilflos mit den Schultern. „Was ist das für ein teuflisches Gefühl – nichts zu wissen. Leer zu sein.“ Ich ballte die Hände zu Fäusten. „Ich kann versuchen, nicht nachzudenken, und nicht verrückt zu werden, aber da sind auch Ihre wohlberechtigten Fragen, auf die ich eine Antwort wissen möchte.“ Ich sah den Polizeiboss an. „Auf deren Beantwortung Sie sogar bestehen müssen. Es klingt verrückt, aber ich weiß nichts. Gar nichts. Nicht einmal meinen Namen. Dieses Monogramm, das Sie an meinem Hemd entdeckt haben – G. B.?“
    Moser nickte.
    Ich hob erneut die Schultern. „Es sagt mir gar nichts.“
    „Amnesie als Folge eines Schocks kommt ja verhältnismäßig häufig vor“, meinte der Arzt. „Aber Ihre Totalamnesie ist ein gutes Stück ungewöhnlicher …“
    Ich nickte zustimmend. „Sie vergessen, was ich eigentlich sein müsste: eine Wasserleiche.“ Ich grinste, als ich die Blässe in ihren Gesichtern sah. „In früheren Zeiten hätte man mir vielleicht einen Tempel erbaut oder mich wenigstens als lokalen Gott …“
    „Ach was!“ unterbrach mich der Arzt ungeduldig. „Sie werden sehen, dass sich die Zeiten für Wunderkinder verdammt geändert haben.“
    Wie recht er hatte!
    Der Ort, zu dem das Rainfelder-Anwesen gehörte, hieß Forchting und hatte etwa fünfzehnhundert Einwohner. Der nächste größere Ort hieß Gerheim und war dreißig Kilometer entfernt. Beide Namen waren mir unbekannt. Es schien, als wollte nichts auch nur ein kleines Stückchen meiner Vergangenheit ans Licht bringen, und ich fragte mich, ob ich überhaupt je eine besessen hatte oder da unten in dem See geboren worden war unter den Fischen.
    Natürlich kam die ganze Sache in die Gerheimer Zeitung, und ich wurde so etwas wie ein Stück Heimatmuseum von Forchting. Warum auch nicht? Schließlich hatten sie mich nicht viel anders ausgegraben als die alten Römertöpfe; nur dass ich aus jüngerer Zeit stammen musste.
    Ich blieb vorerst auf dem Hof der Rainfelder und half, wo der Alte nicht zurechtkam. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, welchen Beruf ich vor meinem Unfall ausgeübt hatte. Sie waren ruhige, einfache Leute, und wenn sie auch eine gewisse Scheu nicht loswurden, so entwickelte sich doch bald ein recht herzliches Gefühl. Da sie selbst keinen Sohn hatten, nahm ich nach und

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