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024 - Lebendig begraben

024 - Lebendig begraben

Titel: 024 - Lebendig begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Walker
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nach immer mehr diese Stelle ein.
    Eine Reihe von Leuten kam aus Gerheim; Reporter, Kriminalpolizei, Neugierige. Da meine Erinnerung auch in den nächsten Tagen nicht zurückkehrte, musste ich die allgemeine Neugier unbefriedigt lassen. Damit gaben sich aber die Behörden nicht zufrieden, und ich erfuhr bald, dass ich nicht so ohne weiteres ein neues Leben beginnen konnte. Ohne Papiere, ohne Akten, ohne Referenzen war das nicht so einfach. Schließlich konnte nicht einmal mein Alter festgestellt werden, wenn man mich auch so um die Zwanzig schätzte. Ganz klar ließ sich erkennen, dass der Weg einer Leiche der einfachere gewesen wäre.
    Warum musste ich auch aufwachen? Das war fast unentschuldbar.
    Erfreulicherweise ließ sich aber nach geraumer Weile Doktor Fechner überzeugen, dass meine Amnesie keine Komödie war. Er brachte mir Sympathie entgegen, zu der wohl auch seine Freundschaft mit den Rainfelders beitrug, die mir vielleicht sogar verziehen hätten, wenn alles doch ein Schwindel gewesen wäre. Und wie sehr wünschte ich mir, da wäre ein Schwindel gewesen; aber immer stießen meine Gedanken ins Leere.
    Schließlich verlor die Presse ihr Interesse. Ernst genommen hatte man die Rainfelder-Erklärung ohnehin nie ganz, und manchmal gewann ich den Eindruck, sie hielten mich überhaupt für eine Art debilen Forchtinger Findling, den bei der Geburt jemand ausgesetzt hatte. Danach verlor auch die Polizei das Interesse. Das war das Erfreulichste. Sämtliche Verbrecherkarteien des Landkreises waren offenbar ergebnislos durchstudiert worden.
    Aber damit ich nicht einfach in Vergessenzeit geraten konnte, wie es viele Leute am bequemsten gefunden hätten, musste etwas geschehen. Sie bauten mir keinen Tempel – aber sie schufen mir, was mir fehlte: eine Vergangenheit. Natürlich fragte man alle Beteiligten. Die alten Rainfelders waren nur zu gern einverstanden, und ich hatte am allerwenigsten etwas dagegen. Ich brauchte endlich Ruhe, um zu mir selbst zu finden – wenn es so etwas überhaupt gab.
    Doktor Fechner schätzte mein Alter auf neunzehn. Ich bekam einen Geburtsschein und einen Geburtstag – alles auf Forchting lautend. Aus dem G meines vermutlichen Monogramms wurde Georg. Die Rainfelders nahmen mich als Pflegesohn auf.
    So kam also Georg Rainfelder zustande. Und er war mir so fremd wie jeder andere der fünfzehnhundert Forchtinger. Eines fühlte ich jedoch ganz deutlich: Forchting war nicht meine Zukunft, und es konnte auch in meiner Vergangenheit keine große Rolle gespielt haben. Ich hatte zwar keine Ahnung, was ich gelernt oder was für Ambitionen ich hatte, aber ich wusste ziemlich sicher, dass mir das Leben eines Forchtinger Bauernjungen auf die Dauer nicht genügen würde. Ein noch unbestimmter Drang war in mir. Es gab etwas, das ich tun musste. Ich wusste nur noch nicht, was.
     

     

Vorerst blieb alles so wie es war. Der Herbst kam und die Erntezeit, und die viele Arbeit vertrieb die düsteren Gedanken, die sich immer wieder ins Leere vorzutasten versuchten.
    Gesellschaftlich entwickelte ich eine erstaunliche Aktivität. Wenn etwas in Forchting los war – der junge Rainfelder war dabei. Ich war nicht ungern gesehen auf Festivitäten und Zusammenkünften; vielleicht, weil ich ein guter Zuhörer war, weil ich jedem zuhörte. Es schien mir, als wollte ich mit fremden Lebensgeschichten meine eigene Leere füllen.
    Gleichzeitig tauchten die ersten vagen Erinnerungen auf. Es waren Kindheitserinnerungen; keine speziellen Dinge. Sie vermittelten mir keine Details, nur das Gefühl, dass ich nicht erst geboren worden war, sondern tatsächlich eine Kindzeit verlebt hatte. Das war schon etwas, aber der Taumel meiner Freude erlosch bald, als klar wurde, dass nichts nachkam, was
    Aufschluss über meine Persönlichkeit hätte geben können. Indessen wusste ich plötzlich Dinge, an die ich vorher gar nicht gedacht hatte. Schulwissen, Fakten. Ich musste eine gute Allgemeinbildung besessen haben. Abitur auf jeden Fall, vielleicht sogar Studium. Dazu gesellte sich ein besonderes Verständnis für rechtliche Dinge, das bald zu einem ausgedehnten Spezialwissen wurde. Ich zweifelte nicht daran, dass ich Jura studiert hatte. Und wenn ich auch mit dem Wissen allein – ohne Zeugnisse und Dokumente – nicht viel anfangen konnte, so erlaubte es mir doch den Sprung aus dieser Einöde.
    Ich begann Freunden und Bekannten Ratschläge zu geben, wenn sie nachbarlichen Streit hatten oder ähnliche Probleme. Und es sprach sich rasch

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