0242 - Shengs Racheschwur
endgültig abblasen wollte, rumpelte ein Fahrrad über die Zugbrücke. Giles Raimond, der Polizist, tauchte auf.
Seine Augen wurden groß, als er die goldhaarige, strahlende Schönheit entdeckte. Fast strafend sah er Zamorra an. Von dessen Sekretärin Nicole war man im Dorf in puncto Freizügigkeit ja schon einiges gewöhnt und tolerierte es, weil Nicole ein Kumpel war, aber daß hier wildfremde Frauen fast nackt über den Schloßhof turnten… »Monsieur, Sie sehen mich befremdet! Feiern Sie hier neuerdings Orgien?«
Zamorra lachte leise. »Das hat andere Gründe… seien Sie unbesorgt, Giles. Hier geht alles sehr sittenstrenge und moralisch zu.«
»Immerhin, Monsieur«, gab Raimond zu bedenken, »sind Sie unverheiratet, und das könnte den Anschein erwecken als ob…«
»Aber Sie sind verheiratet, mein lieber Giles«, stellte Zamorra fest und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Kneifen Sie einfach die Augen zu und denken Sie an ihre Gabriele, ja? Sie wissen doch, daß ich solide bin, und die Zeit, in der Leonardo de Montagne hier seine wüsten Orgien und Blutmessen zelebrierte, ist finsterstes Mittelalter und kommt nie wieder…«
»Trotzdem bin ich vielleicht so etwas wie eine Hexe«, lächelte Teri und ließ Flämmchen auf ihren Fingerspitzen tanzen.
Nicole schüttelte heftig den Kopf und zog sie beiseite. »Komm, du kriegst ein paar Sachen von mir, dann siehst du nicht mehr ganz so jugendgefährdend aus… Unterdessen wird sich Giles beruhigen…«
Eine halbe Stunde später waren sie mit ihrer Märchenstunde fertig. Giles Raimond glaubte nur die Hälfte und ließ sich das auch anmerken. »Aber wenn ich die ganze Wahrheit niederschreibe, glaubt mir das eh niemand, und meine Vorgesetzten halten mich für verrückt, nicht wahr?«
Zamorra lächelte. »Wahrscheinlich.«
Giles Raimond lehnte sich zurück.
»Fast hätte ich heute nacht geglaubt, als dieses Leuchten um die Mauern lag, der alte Leonardo mit all seiner Zauberei sei doch wieder hier…«
»Aber das ist doch wirklich neunhundert Jahre her«, warf Nicole ein. Zamorra aber winkte ab. Von dem Leuchten hörte er gerade zum ersten Mal und wollte mehr darüber wissen. Jetzt war es Raimond, der erzählte. »Aber Sie werden mir nicht verraten wollen, was das für eine Erscheinung war?«
»Lassen wir es lieber«, brummte Zamorra.
»Ist mir eigentlich auch lieber so«, gestand der Polizist. »Wissen Sie, Professor, heute noch werden die Schauergeschichten über den alten Leonardo erzählt. Und Geschehnisse wie diese, nun… verstehen Sie?«
Zamorra nickte.
»Aber es gibt Dinge, die ich nicht verhindern kann«, sagte er leise. »Ich arbeitete daran, herauszufinden, was das heute nacht wirklich war. Deshalb sind auch schon Spezialisten hier, die Sie vorhin im Burghof sahen.«
Nicole lächelte.
»Ich nehme an, daß außer Ihnen noch andere Leute dieses Leuchten gesehen haben, trotz der späten Stunde«, sagte sie. »Giles, was halten sie davon, wenn wir in ein paar Tagen, wenn dieser Spuk vorüber ist, eine große Gespenster-Party feiern?«
»Fang nicht schon wieder damit an, daß du spuken willst«, brummte Zamorra entsagungsvoll.
»Mit solchen Dingen sollte man eigentlich nicht spaßen«, meinte Raimond. »Vor allem nicht hier, im Schatten von Château Montagne.«
»Neunhundert Jahre«, sagte Nicole. »Es ist kaum zu fassen! Trotzdem… Wie wäre es mal wieder mit einem kleinen Fest?«
»Ich werd’s unten weitersagen«, versprach Giles. »Feste kann man immer feiern…«
Raimond zog sich per Fahrrad wieder zurück. Er hatte seinen Bericht, den er auf jeden Fall anfertigen mußte. Um die nächtliche Anforderung des Rettungswagens zu rechtfertigen, und dessen Besatzung hatte ja auch so einiges gesehen, was sich nicht völlig unterdrücken ließ. Nun, sollten sich Raimonds Vorgesetzte ihre schlauen Köpfe zerbrechen.
An den kleinen Kristall, der sich immer noch in seiner Jackentasche befand, dachte er schon längst nicht mehr…
***
Sheng Li-Nong betrat das Haus nur mit äußerster Vorsicht. Er war sicher, daß dieser Ted Ewigk nicht zum ersten Mal mit magischen Dingen zu tun hatte. Denn sonst hätte er bestimmt keinen Dhyarra-Kristall besessen…
Unwillkürlich griff der Dämon zur Stirn, wo unter der Maske der Kristall saß. Sheng hatte damals all seine Kraft aufbieten müssen, von dem Götterstein nicht vernichtet zu werden. Aber er hatte es geschafft. Und der Kristall hatte sich vom Nacken, vom Zentrum der Nervenfäden, bis zur Stirn
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