0246 - Im Räderwerk der Unterwelt
auseinander und reichte es dem Jüngeren.
Der nahm das Blatt, warf einen kurzen Blick darauf und reichte es dem grauhaarigen Funker.
»Eigentlich«, bemerkte sein älterer Gefährte dabei, »eigentlich ist es üblich, dass man derlei vorliest, aber meinetwegen - soll er es selbst lesen. Es kommt aufs selbe hinaus.«
Der Funker hatte das Blatt Papier in die Hand genommen und überflog es. Zuerst zeichnete sich ungläubiges Staunen in seinem Gesicht ab, schließlich aber brach er in ein schallendes Gelächter aus.
»Unwahrscheinlich!«, rief er, während ihm die Lachtränen übers Gesicht liefen. »Nicht zu glauben! Ihr seid zwar verrückt, aber ihr gebt euch Mühe! Das muss man schon sagen! Sogar mit Aktenzeichen, Register-Nummer und allem Zubehör! Zum Brüllen ist das! Das ist einfach zum Brüllen!«
Der ältere von den Ankömmlingen gab dem jüngeren einen herrischen Wink.
»Bringen wir’s hinter uns!«, sagte er dabei energisch.
Der Jüngere trat auf den Funker zu, der noch immer das Blatt Papier in der Hand hielt und sich ausschütten wollte vor Lachen. Mit einer raschen Bewegung schlug er dem Funker die geballte Faust ans Kinn. Der Getroffene stürzte zu Boden. Bevor er sich’s versah, kniete der andere auf ihm und fesselte ihm die Hände auf dem Rücken mit einer dünnen unzerreißbaren Nylonschnur zusammen.
»Jetzt ist aber Schluss«, ächzte der Funker, der nach wenigen Sekunden der Benommenheit wieder zu sich kam. »Jetzt ist langsam der Punkt erreicht, wo das gutmütigste Schaf nicht mehr mitspielen kann. Nehmt mir sofort die Fesseln ab!«
Aber stattdessen packen ihn die beiden Männer unter den Armen und hoben ihn hoch. Obgleich sich der Funker wehrte, schleppten sie ihn zur Hütte hinaus und hinüber zu dem stählernen Gerüst des Funkturms.
Der Jüngere zog ein anderes Stück Nylonschnur hervor und fesselte den Mann mit den Beinen an das Gerüst des Turms. Der Funker schrie und tobte die ganze Zeit, aber die beiden schweigsamen Männer ließen sich davon nicht aufhalten. Der ältere hatte in der Hütte das Blatt Papier wieder eingesteckt, das sie dem Funker zum Lesen gegeben hatten. Nachdem der jüngere den Wehrlosen fest an das Gestänge des Funkturms gebunden hatte, traten beide ungefähr zehn Schritte von dem Gefesselten zurück.
»Seid ihr denn völlig übergeschnappt?«, rief der gefesselte Funker. »Ihr könnt mich doch nicht hier gefesselt am Mast stehen lassen! Ich muss doch in zwanzig Minuten die nächste Station rufen! Ich muss die Radarschirme beobachten! Ich muss…«
Er zählte ihnen wütend seine vielfältigen Pflichten auf. Die beiden Männer schienen ihm nicht einmal zuzuhören. Sie zogen zwei Pistolen aus ihren Gesäßtaschen, prüften Magazin und Sicherung und hoben die Waffen.
Dem Funker traten die Augen aus den Höhlen. Bis zu diesem Augenblick hatte er geglaubt, dies sei alles nur ein irrsinniges Spiel, vielleicht ein sehr grober Scherz, aber doch jedenfalls kein blutiger Ernst. Seine Zunge war mit einem Schlag trocken, als er die Mündungen der Pistolen auf sich gerichtet sah. Er wollte noch einmal schreien, er wollte die Männer davon abhalten, etwas Fürchterliches zu tun, aber es ging alles viel zu schnell.
Der Ältere fragte kühl und knapp: »Fertig?«
Der Jüngere nickte ebenso knapp: »Fertig!«
Der Ältere atmete einmal tief. Dann sagte er mit befehlsgewohnter Stimme: »Achtung! Gebt Feuer!«
Krachend entluden sich die beiden Waffen.
***
»Zum Teufel!«, murmelte Phil und zog mich am Ärmel in eine Ecke des großen Wohnzimmers. »Irgendwas stimmt doch hier nicht! Was meinst du?«
Ich zuckte die Achseln.
»Keine Ahnung. Aber es sieht so aus, als ob wirklich nicht alles mit rechten Dingen zugegangen wäre. Erinnerst du dich an seinen Schwindelanfall?«
»Natürlich. Er sah auch die ganze Zeit ziemlich blass aus. Aber ich dachte, er wäre nur verkatert. Er ist Lieutenant, also wahrscheinlich auf Urlaub, na, da liegt es doch nahe, dass er mal ein bisschen kräftig losgelegt hat mit dem Amüsieren und so. Wer kann denn ahnen…«
Er setzte seinen Satz nicht fort. Schweigend blickten wir quer durch das große Zimmer hinüber zu der Couch, auf der man Will Rubbers gebettet hatte. Wir waren zwar keine Fachleute, aber so viel verstanden wir auch, dass Rubbers tatsächlich tot war.
Seine Mutter hatte noch vor unserem Eintreffen einen Ohnmachtsanfall erlitten und war von dem Dienstmädchen auf ihr Zimmer gebracht worden. Ein Diener, oder was er sonst sein
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