0252 - Die Tochter des Totengräbers
Verletzungen der Schlagader sollen ja nicht gerade angenehm sein.
Es dauerte länger, weil ich vorsichtig war, und als die ersten Stricke fielen, legte ich eine Pause ein. Viel gewonnen hatte ich damit noch nicht. Ich mußte weitermachen und konnte schließlich aufatmen, als ich völlig frei war.
Das Kribbeln kannte ich schon. Damit hatte ich gerechnet. Es zog sich von den Handgelenken bis zu den Schultern hin, und ich bewegte meine Arme wie kreisende Räder, um wieder das nötige Gefühl zu haben.
Danach war Bill an der Reihe. Er hatte mich schon die ganze Zeit über beobachtet, drängte mit Worten, weil ich ihm nicht schnell genug war.
Als ich mich bückte und die Dolchspitze seinem linken Handgelenk näherte, da schimpfte er mich schon aus. »Ich glaube, du machst alles extra langsam.«
»Klar«, gab ich unumwunden zu. »Schließlich bist du es gewesen, der mich in das Schlamassel reingeritten hat.«
»Und von mir sprichst du gar nicht?«
»Du konntest dich doch ausruhen.«
Bill verzog das Gesicht, als wollte er jeden Augenblick anfangen zu weinen. »Wir hätten ja tauschen können.«
»Und damit kommst du jetzt raus?« Ich hatte bereits seine zweite Handfessel gelöst, und Bill begann mit der ersten Finger-Gymnastik.
»Sicher, vorher ist es mir nicht eingefallen.«
»Warte nur, ich revanchiere mich noch. Dann wird es dir so ergehen wie dem Ghoul.«
»Fertig«, sagte ich, als ich auch die Stricke an den Fußknöcheln durchtrennt hatte.
Bill richtete sich auf. Er prustete und schüttelte den Kopf, wobei er noch ein paarmal tief stöhnte. Ich streckte ihm die Hand entgegen, um ihm auf die Beine zu helfen.
Obwohl ich mich bei meinen Befreiungsbemühungen auch in den Kreis hineingebeugt hatte, war der Ansturm fremder Magie ausgeblieben. Ein rätselhaftes Phänomen, für das ich keinerlei Erklärung wußte.
Bill stemmte sich auf die Beine und sackte gleichzeitig zusammen. Sein Gesicht verzog sich dabei, und hätte ich ihn nicht aufgefangen, wäre er hart zu Boden geschlagen.
»Himmel, du bist ein Schwächling!« sagte ich.
»Das hat mit Schwäche nichts zu tun«, stöhnte er. »Ich wollte nur mal feststellen, ob du reaktionsschnell bist und mich halten kannst.«
»So kann man es auch sagen.«
Ich half mit, den Freund zu massieren. Bill hatte Qualen durchgemacht. So eine Fesselung ist verdammt brutal. Es würde einige Zeit dauern, bis er wieder normal reagieren und sich bewegen konnte.
»Hast du deine Pistole?« fragte ich ihn.
»Ja.«
»Wie hat dich der Ghoul eigentlich so überraschen können?« wollte ich wissen.
»Er war plötzlich da. Ich dachte an nichts Böses, da sah ich die beiden Pranken. Sie packten meine Fußknöchel, rissen mich zu Boden, und ich hatte das Nachsehen.«
»Wobei ich mich frage, was er von dir wollte.«
Bill lachte. »Verlange keine Antwort. Ich habe lange genug darüber nachgegrübelt und bin zu keinem Ergebnis gekommen. Gekillt hat er mich, wenigstens nicht.«
»Was einen Grund gehabt haben müßte.«
»Und welchen?«
»Er arbeitete nicht auf eigene Rechnung.«
»Bist du dir sicher?«
»Nein, aber ich nehme es an. So schweigsam ist ja deine Gefangenschaft nicht verlaufen.«
»Du denkst an die Stimmen?«
»Genau.«
Bill hob die Schultern.
»Da weiß ich nicht viel, John. Ehrlich nicht. Ich kann sie auch nirgendwo hinstecken. Die sagten doch, wenn er zurückkehrt, sind wir frei. Wen meinen sie mit er?«
»Vielleicht den Ghoul.«
»Das glaube ich nicht.« Bill Conolly bemühte sich, wieder auf die Füße zu gelangen. Ich unterstützte ihn dabei. Ein wenig schwankend blieb er im Kreis stehen. Ich schaute ihn an und stellte fest, daß er ebenso verdreckt aussah wie ich.
»Kannst du laufen?« fragte ich.
»Bin ich ein Kleinkind?«
»Das wage ich nicht zu beurteilen.«
Bill schaute mich an, als wollte er mich auffressen, schüttelte danach den Kopf und verließ den Kreis. Ich schaute in diesen Augenblicken zu der stinkenden Ghoullache hin und achtete nicht auf meinen Freund, der sich auf seltsame Art und Weise veränderte.
Körperlich blieb er derselbe, aber innerlich ging etwas mit ihm vor.
Ich wurde erst aufmerksam, als er ein knurrendes Geräusch von sich gab, drehte mich um und erstarrte, denn Bill Conolly sprach mich an.
»Es ist soweit. Er ist da!«
Normale Worte, aber mein Freund hatte mit der Stimme eines anderen geredet…
***
Sie standen vor dem Keller, vor der offenen Tür, und Thelma konnte in den dahinterliegenden Raum schauen. In einen
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