0265 - In Brooklyn blüht der Galgenbaum
Mühsam machte ich mich an die Arbeit.
Mit zusammengebundenen Händen Briefe zu schreiben, ähnelt im Resultat den Bemühungen eines Kindes im ersten Grundschuljahr. Ich fragte mich, ob Ralph und Bobby das Gekritzel würden lesen können. Aber ein bisschen Vertrauen zum Glück muss man schon haben. Namentlich dann, wenn einem buchstäblich nichts anderes übrig bleibt. Ich riss also den Briefumschlag zwischen die Hände und zerknüllte ihn, damit er vom Fenster nicht irgendwohin flatterte, sondern nach unten fiel.
Zweimal rutschte ich ab, dann hatte ich mich endlich auf den schmalen Fenstersims gezogen. Mit dem einen Knie stemmte ich mich ein. Und mit den gefesselten Händen brachte ich das Papierknäuel so dicht an den Schlitz der Lüftungsklappe, wie es mir möglich war. Ich schnippte das Knäuel hinaus.
Ich lauschte und wartete. Waren die Kollegen schon nicht mehr in der Nähe? Hatten sie das Knäuel gar nicht gesehen? Bange Minuten verstrichen. Dann endlich vernahm ich Bobbys leise Stimme direkt unter dem Fenster.
»Hallo, Jerry!«
Ich brachte meinen Mund möglichst nahe an den Schlitz und erwiderte:
»Ja! Habt ihr meine Nachricht?«
»Haben wir. Wir bleiben in der Nähe, bis du uns rufst oder sonst was Besonderes eintritt. Sollen wir im Hof bleiben oder nach vorn auf die Straße gehen?«
Ich überlegte einen Augenblick. Da es nach vorn hinaus weder vom ehemaligen Turnsaal noch von der Toilette aus ein Fenster gab, würde unsere letzte Verbindungsmöglichkeit abreißen, wenn sie auf die Straße gingen. Also rief ich leise hinaus:
»Bleibt auf dem Hof!«
»Okay! Können wir sonst etwas für dich tun?«
Ich wollte schon ablehnen, da fiel mir noch etwas ein.
»Wenn einer von euch ein Taschenmesser hat, dann soll er es auf klappen und an eine Schnur binden oder was sonst zur Hand ist. Lasst es dann vorsichtig durch den Schlitz der Lüftungsklappe!«
»Okay! Gedulde dich einen Augenblick!«
»Auch zwei«, antwortete ich.
Es ging verhältnismäßig schnell. Auf einmal wurde das Milchglas des schmalen Fensters dunkel von einem Schatten, der sich draußen vor dem Fenster aufrichtete. Gleich darauf rutschte ein auf geklapptes Taschenmesser durch den Schlitz. Er war in eine Krawatte geknotet.
»Die Krawatte müsst ihr opfern!«, rief ich leise.
»Okay. Hast du das Messer?«
Ich packte es mit den gefesselten Händen und erwiderte:
»Ja! Lasst los!«
Die Krawatte kam hereingerutscht. Ich hatte das Messer zwischen meine Hände genommen und stieß es mit einem harten, kurzen Stoß in die Wand. Die Krawatte baumelte empört. Ich suchte die günstigste Stelle heraus und wollte gerade versuchen, meine Fesseln mithilfe des Messers zu durchschneiden, als ich im letzten Augenblick draußen Schritte auf die Toilettentür zukommen hörte.
Rasch lehnte ich mich gegen die Wand und zwar so, dass der Griff des Messers jetzt in der linken Achselhöhle zwischen Arm und Körper verborgen war. Gleich darauf ging auch schon die Tür auf. Ein ziemlich junger Mann stand auf der Schwelle. Er trug einen Bart, der nicht viel älter als allenfalls eine Woche sein konnte. Für eine Sekunde starrten wir uns neugierig an. Dann drehte sich der Bärtige um und sagte über die Schulter nach hinten:
»Sieh ihn dir selber an, Chef! Ich kann nicht wissen, ob du diese Type kennst.«
Das Gesicht von Kau-Kelly, bei der Polizei nicht unbekannt, wurde hinter dem ersten Mann sichtbar. Er musterte mich nur flüchtig, dann sagte er:
»Irgendwie kommt mir das Gesicht bekannt vor. Aber ich weiß im Augenblick nicht, wo ich es einordnen soll. Von mir kommt dieser Mann jedenfalls nicht.«
Die Tür wurde mir vor der Nase wieder zugeschlagen. Aus Gründen der Vorsicht blieb ich noch eine Weile an die Wand gelehnt. Dann trat ich vom Messer weg, das in der einzigen Holzwand stak, die die Toilette aufzuweisen hatte, nämlich der Trennwand zu dem ebenso schmalen Duschraum hin.
Eine ganze Weile säbelte ich mühsam an der Fesselung herum, indem ich die Schnüre an der in die Wand gerammten Klinge rieb. Das einzige Ergebnis war, dass sich das Messer mit der Zeit so lockerte, dass ich die Klinge ein zweites Mal in die Holzwand stoßen musste.
Ein paar Mal schnitt ich mir in die linke oder rechte Hand. Aber schließlich spurte ich, wie sich die Fesselung lockerte. Mit verstärktem Eifer rieb ich weiter. Und dann hatte ich endlich den richtigen Strick erwischt. Mit einem Schlage löste sich das ganze Gewirr von verknoteten Schnüren.
Aufatmend ließ ich
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