0291 - Die Doppelrolle eines Satans
Esel«, brummte Marshall. »Es wäre mir viel lieber gewesen, er wäre hier zurückgeblieben. Dieser verdammte Narr!«
»Hast du Angst vor dem Kerl?«, fragte Beracci.
»Angst«, schnaufte Marshall. »Natürlich nicht. Aber ich mache mir nicht gern die Finger dreckig. Und Mord ist ein verdammt dreckiges Geschäft.«
»Warum hast du Mock nichts davon gesagt?«
»Himmel, du kennst ihn doch! Wenn man Pete widerspricht, weiß man nie, ob er nicht gleich in die Luft gehen wird. Außerdem ist es doch so, dass dieser verdammte Schnüffler wirklich langsam zu gefährlich wird. Er muss weg - oder was meinst du?«
»Er muss weg«, wiederholte Tonio Beracci, als spräche er von irgendeinem nebensächlichen Ereignis. »Allein die Tatsache, dass der Kerl unsere Verabredung erfahren hat, zeigt, dass er zugefährlich wird. Er muss irgendwie gute Beziehungen zu unseren Leuten haben, sonst könnte er es nicht erfahren haben. Aber wenn er so gute Beziehungen hat, kann er uns eines Tages wirklich ans Messer liefern. Da gibt es gar nichts mehr zu überlegen. Er muss weg -basta.«
Beracci sah zufrieden nach vorn. In seinem Gesicht zeigte sich nicht die geringste Regung. Ein seltsamer Kerl, dachte Marshall. Hätte ich mich doch bloß nicht mit diesen Burschen eingelassen. Zugegeben, das Leben als Boss einer Gang hat seine Vorteile, und viel Geld habe ich schon immer gern wollen, aber jetzt ziehen mich die Brüder auch noch in einen Mord hinein. Verdammt noch mal, das hatte ich mir nicht vorgestellt, dass es soweit kommen würde.
Während Henry Marshall den Wagen immer im gleichen Abstand hinter Pete Mocks herrollen ließ, huschten ihm die widerspruchvollsten Gedanken durch den Kopf. Früher war er nicht mehr als ein kleiner Gauner gewesen, der in den geheimen Spielclubs droben in Harlem für die Spielhöllenbesitzer die Gäste ausplünderte und dabei einen winzigen Anteil von der fetten Beute bekam. Jetzt war er ziemlich schnell zum Boss einer Gang avanciert, und das gefiel ihm zunächst durchaus.
Die Dreckarbeit hatte er ja nicht zu machen. Dafür hatte er seine Leute. Er sagte: Joe, tu dies! und: Bill, tu das! Und sie gehorchten ihm. Ganz am Anfang hatte mal einer versucht, sich aufzulehnen. Aber wozu hatte Marshall seinen bezahlten Leibwächter? Der Rebell war verprügelt worden, die anderen haften gemerkt, dass man dem Boss gehorchen musste, und damit war ja die Ordnung in Marshalls Sinne wiederhergestellt.
Na gut, er hatte ein paar Mal den Befehl gegeben, ein paar Männer durch die Mangel zu drehen, die ihre Schutzgelder nicht bezahlen wollten! Zweimal hatte er selbst dabei zugesehen, obgleich er solche Szenen nicht lieble. Aber er hatte es tun müssen, um bei seinen Leuten nicht den Eindruck zu erwecken, dass er zu schwach sei, um den Anblick eines halb totgeprügelten Mannes zu ertragen. Aber das war doch immerhin etwas anderes als Mord.
Jetzt aber wollten sie einen Mord begehen. Einen richtigen Mord. Es half alles nichts, die schönsten Ausreden waren nicht kräftig genug, um diesen Tatbestand wegzuwischen: Es war ein Mord, den sie planten.
Vielleicht sollte ich versuchen, mich herauszuhalten, dachte Hank Marshall. Er erlebte das harte Gesetz der Unterwelt, dass es auf der schiefen Ebene keine Terrassen gibt, wo man sich festhalten kann, damit man nicht immer weiter nach unten abrutscht. Und wie alle Gangster gab er sich der Illusion hin, dass Verbrechen und Verbrechen zweierlei seien und man durchaus nicht immer tiefer in den Teufelskreis des Gangstertums hineingezogen werden müsste.
Aber wenn ich mich heraushalte, dachte er, werden sie es natürlich dem Boss erzählen. Das steht fest. Und was wird es dann geben? Marshall ist zu feige, wenn’s hart auf hart geht, wirklich was zu tun, wird es heißen. Marshall kassiert zwar gern jede Woche seinen fetten Anteil, aber er tut im Grunde genommen nichts dafür.
Himmel, in was für eine Zwickmühle bin ich jetzt geraten? dachte Marshall und merkte, dass er anfing zu schwitzen. Aussteigen kann ich nicht. Die wären imstande und jagten mir vor lauter Wut eine Kugel in den Schädel.
Aber mitmachen möchte ich noch viel weniger. Ein Racket leiten und den Leuten das Geld abnehmen, sobald sie ihre Lohntüten gekriegt haben, das ist etwas anderes, als Leute zu ermorden. Verdammt noch mal, ich habe keine Lust, mich mal auf dem Elektrischen Stuhl festschnallen zu lassen.
Aber zum Zuchthaus habe ich auch keine Lust. Und wenn wir diesen Kvorac - oder wie der verdammte Schnüffler
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