03 - Auf Ehre und Gewissen
verdamm mich! Das reicht!«
Lynley stand ebenfalls auf. Er rollte die Krawatten wieder zusammen und sah auf den Jungen hinunter. Er hätte jetzt gern gerechten Zorn und Triumph in sich verspürt, die bittere Genugtuung darüber, daß ein Mord gesühnt und ein Mörder überführt war und seine gerechte Strafe erleiden würde. Aber er empfand nichts dergleichen und wußte, daß aus den Trümmern dieser letzten Tage nicht einmal der Hauch eines Gefühls von wohlgetaner Vergeltung aufsteigen würde.
»Als du Matthew Whateley tötetest«, fragte er schwer, »wußtest du da, daß er dein Bruder ist?«
Barbara ging in Lockwoods Büro, um die Dienststellen in Horsham und Slough anzurufen. Es waren Höflichkeitsanrufe. Der offizielle Austausch von Informationen würde später erfolgen, wenn die Aussagen gesammelt vorlagen und die Berichte geschrieben waren.
St. James und Lockwood blieben mit Brian Byrne im Sitzungszimmer, während Lynley ging, um den Vater des Jungen zu suchen. Giles Byrne war, kurz nachdem Lynley seine letzte Frage gestellt hatte, aufgestanden und gegangen, ohne auf Brians Antwort zu warten. Er hatte es sich erspart, die anfängliche Verwirrung auf dem Gesicht seines Sohnes ansehen zu müssen, das langsame Begreifen, das schließlich verzweifeltem Entsetzen gewichen war.
Brian hatte die Realität rasch genug erkannt. Es war, als wäre mit Lynleys Frage eine Reihe von Erinnerungen freigesetzt worden, die er ihrer Schmerzlichkeit wegen bisher fest eingesperrt hatte.
»Es war Eddie«, sagte er nur. »Es war Eddie, nicht wahr? Und meine Mutter. Der Abend im Arbeitszimmer ... Sie waren dort ...« Er schrie erstickt auf. »Ich wußte es nicht!« Er senkte den Kopf.
Danach erzählte er schluchzend, in abgerissenen Sätzen. Die Geschichte unterschied sich nur in Details von Lynleys Mutmaßungen. Dreh- und Angelpunkt war Chas Quilter. Brian hatte ihn am vergangenen Samstag abend nach Stoke Poges begleitet. Chas hatte über seinen eigenen Sorgen die in eine Decke gehüllte Gestalt hinten auf dem Boden im Kleinbus nicht bemerkt. Sein Verlangen, mit Cecilia allein zu sein, hatte ihn veranlaßt, ohne Überlegung Brians Angebot, vor dem Haus der Streaders im Bus auf ihn zu warten, anzunehmen. Er wußte nicht, daß Brian diese Zeit dazu genutzt hatte, die Leiche fortzuschaffen.
Lynley verließ, nachdem er St. James durch einen Blick bedeutet hatte, bei dem Jungen zu bleiben, den Sitzungsraum. Der Korridor draußen war dunkel, doch an seinem Ende stand die Tür zum Vorplatz offen, und dort konnte Lynley schwaches Licht erkennen. Es kam aus der Kapelle.
Giles Byrne saß unter der Gedenktafel, die er für Edward Hsu hatte anbringen lassen. Er verriet durch nichts, ob er Lynley kommen hörte. Reglos und kerzengerade saß er in dem Kirchenstuhl, jeder Muskel seines Körpers angespannt.
Als Lynley sich zu ihm setzte, fragte er leise: »Was geschieht jetzt?«
»Er wird von der Polizei aus Horsham abgeholt werden. Ebenso Clive Pritchard.«
»Und weiter?«
»Alles weitere liegt in den Händen der Staatsanwaltschaft.«
»Wie bequem für Sie, Inspector. Ihre Arbeit ist getan, nicht wahr? Alles sauber gebündelt und verschnürt. Sie machen sich mit dem befriedigenden Gefühl, der Wahrheit ans Licht geholfen zu haben, aus dem Staub. Wir anderen bleiben und müssen zusehen, wie wir mit allem fertigwerden.«
Lynley verspürte einen Impuls, sich zu rechtfertigen, aber er tat es nicht. Er war zu müde und zu niedergeschlagen, um es auch nur zu versuchen.
»Sie hat es alles mit voller Überlegung getan«, sagte Byrne abrupt. »Meine Frau hat Edward Hsu nicht geliebt. Ich glaube nicht, daß sie überhaupt imstande ist, einen anderen zu lieben. Sie brauchte Bewunderung. Sie mußte das Begehren in den Augen der Männer sehen. Und stärker als alles andere war am Ende ihr Verlangen, mich zu verletzen. Darauf läuft es immer hinaus, nicht wahr, wenn eine Ehe in die Brüche geht?«
Im Halbdunkel der Kapelle wirkte Byrnes Gesicht eingefallen, geschwärzt von den Schatten unter seinen Augen und Wangenknochen.
»Wie sind Sie dahintergekommen, daß meine Frau Matthews Mutter war?«
»Ihre Geschichte von seiner Geburt in Exeter erwies sich als falsch. Sie leugneten, die Mutter gekannt zu haben, aber eine Adoption hätte nicht so vereinbart werden können, wie Sie es uns beschrieben hatten - nur zwischen Ihnen, einem Anwalt und den Whateleys. Es blieben also zwei Möglichkeiten. Entweder hatte die Mutter an der Adoptionsvereinbarung
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