03 - Der Herr der Wölfe
trugen die Färben der Festung, Rot und Blau, geschmückt mit dem Bild kämpfender Widder. Dieses Emblem hatte Manons Großvater gewählt, im Dienste Charlemagnes.
Der Graf war ein attraktiver Mann mit dunklem Haar, nur von vereinzelten grauen Strähnen durchzogen. Sein sonnengebräuntes Gesicht betonte die tiefblauen Augen. Hoch aufgerichtet saß er im Sattel. Als er seine Tochter und Ragwald entdeckte, die ihn ungeduldig erwarteten, winkte er lächelnd und spornte sein Pferd an.
»Vater!« Überglücklich rannte Melisande zu den Stufen.
»Bei allen Heiligen, Melisande!« rief Ragwald ihr ärgerlich nach und rang die Hände. »Ihr seid die Erbin einer mächtigen Festung! Wollt Ihr nicht etwas mehr Würde zeigen?« Aber seine Worte verhallten in leerer Luft. Resignierend zuckte er die Achseln und folgte ihr über die Südtreppe in den Hof hinab.
Das Haupttor stand offen, Manon ritt hindurch, und seine Tochter stürmte ihm freudestrahlend entgegen. »Melisande!« Er zügelte Warrior, schwang ein Bein über den Pferderücken und sprang behände auf den Sandboden hinab. »Meine Süße, du hast mir so gefehlt«, beteuerte er und nahm sie zärtlich in die Arme.
»Endlich bist du wieder da!«
Ragwald bemerkte, wie der Graf beim Anblick seiner Tochter die Stirn runzelte. Kein Wunder - in den Monaten seiner Abwesenheit hatte sie sich sehr verändert. In ein paar Tagen würde sie ihren dreizehnten Geburtstag feiern, und sie war groß geworden, größer als manche Männer. In weichen Wellen fiel das rabenschwarze Haar auf ihren Rücken. Das Gesicht zeigte keine kindlichen Züge mehr. Mit ihren feingezeichneten hohen Wangenknochen, den weit auseinanderstehenden strahlenden Augen und der geraden Nase konnte Melisande neben allen Schönheiten der alten römischen und griechischen Sagen bestehen. Auch ihr Körper nahm frauliche Formen an.
Der alte Mann beschloss, seinen Herrn bald zu erinnern, dass er es bisher versäumt hatte, eine Ehe für das Mädchen zu arrangieren. Aber vorerst wollte er die Wiedersehensfreude der beiden nicht stören und blieb im Hintergrund.
Der Graf berichtete von den Geschenken, die er mitgebracht hatte, und Melisande fragte, ob es ihm gut ergangen sei. Und natürlich wollte sie ganz genau wissen, wo er überall gewesen war.
Während Manon seine Reise schilderte, legte er den einen Arm um seine Tochter, den anderen um Ragwald und führte sie zum Hauptturm. Im Keller wurden Essensvorräte und Waffen verwahrt, der Oberstock enthielt die Schlafzimmer. Die große Halle lag im Erdgeschoß, mit einem wuchtigen Kamin und einem Eichentisch, an dem mehrere Leute Platz fanden.
Alle freuten sich über die Heimkehr des Grafen, vom niedrigsten Vasallen bis zum reichsten Pächter. Die Diener drängten sich um ihren Herrn, begrüßten ihn, lauschten begierig seinen Geschichten über Paris, die Pilgerfahrt, die er dort begonnen hatte, und seinen Besuch beim Burgunderkönig. Dann eilten sie davon, um ein Festmahl vorzubereiten, das ihn willkommen heißen sollte.
Zu später Stunde, nachdem sich die Dienerschaft zurückgezogen hatte, saß er auf einem der Eichenstühle vor dem Kamin und beobachtete seine Tochter, die das Feuer schürte. Die Freude über seine Heimkehr rötete ihre Wangen immer noch, was auch Ragwald nicht entging. »Gerald hat uns während Eurer Abwesenheit oft besucht«, bemerkte er und meinte den Grafen des benachbarten Gebiets, einer Landzunge, die weit ins Meer hinausragte.
»Tatsächlich? Um nach dem Wohl meiner Festung zu sehen?« Manon lächelte. »Dann kennt er Philippe und Gaston schlecht, wenn er glaubt, sie könnten nicht für die Sicherheit dieser Mauern sorgen.«
Der alte Mann erwiderte das Lächeln nicht. »Ich misstraue ihm. «
»Und worauf hat er es nach Eurer Meinung abgesehen?«
Ragwald zuckte die Achseln und schaute kurz zu Melisande hinüber. »Das weiß ich nicht. Vielleicht auf Eure Tochter. « Verwirrt wandte sie sich vom Kamin ab, starrte ihn an und zog die Nase kraus. Schon in jungen Jahren ist sie eine gute Menschenkennerin, dachte er.
»Unsinn, Gerald ist älter als ich«, widersprach der Graf.
»Das wäre kein Hindernis für eine Ehe. Und möglicherweise will er das Mädchen nicht für sich selbst haben, sondern für seinen Sohn Geoffrey.«
»Den mag ich noch weniger«, murmelte der Graf.
Erleichtert atmete Melisande auf, dann warf sie Ragwald einen triumphierenden Blick zu.
Doch er ignorierte sie und wandte sich wieder an Manon. »Sie ist Eure einzige Erbin
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