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03 - Der Herr der Wölfe

03 - Der Herr der Wölfe

Titel: 03 - Der Herr der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Graham
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Tränen brannten in Melisandes Augen, doch sie kämpfte tapfer dagegen an. »Ihr alle wollt mit mir in ein christliches Gotteshaus gehen?« fragte sie sarkastisch.
    Doch es gelang ihr nicht, den großen Wikinger zu beleidigen. »Unsere Insel ist schon sehr lange eine Hochburg des christlichen Glaubens, meine Dame. Eines Tages müsst Ihr dorthin reisen. Ihr werdet staunen.«
    »Eure Insel!« entgegnete sie verächtlich. »Und in dieser Hochburg des christlichen Glaubens baut Ihr Eure Drachenschiffe?«
    »Melisande!« zischte Ragwald.
    »Nun, ist es so?«
    Unbeirrt lächelte der Wikinger. »O ja, Gräfin. Aus König Olafs Reich übernahmen wir alles Gute und vereinten es mit den Vorzügen unserer alten Heimat. Dadurch entstand eine neue, wunderbare Lebensweise, die uns Kraft gibt und die wir sehr zu schätzen wissen.«
    Ehe sie antworten konnte, umklammerte Ragwald ihren Arm und führte sie zu den Mauern zurück. »In all den Jahren habe ich Euch unterrichtet. Und es missfiel mir stets, dass der Graf Euch Flausen in den Kopf setzte, denn die Welt da draußen ist hart und grausam. Das muss man Euch mit allem Nachdruck klarmachen. Sicher, Ihr seid sehr klug, weit über Eure Jahre hinaus, und überaus mutig für ein Mädchen. Immerhin habt Ihr Euch heute Nachmittag in tödliche Gefahr begeben. Und nun wollt Ihr nicht verstehen, wie wichtig diese Heirat ist - für Euch selbst und für alle, die hier leben. Sind Euch diese Menschen gleichgültig? Wollt Ihr mit ansehen, wie sie immer wieder angegriffen und letztendlich niedergemetzelt werden, nur weil Ihr einen einzigen Mann fürchtet, nachdem Euch Geralds gesamte Truppe keine Angst einjagen konnte?«
    »Ich fürchte ihn nicht!« fauchte sie wütend.
    »Was habt Ihr dann gegen ihn einzuwenden?«
    »Dieser Wikinger ist mir ganz einfach widerwärtig.«
    »Das ist kein Grund, die Hochzeit abzulehnen«, meinte Ragwald ärgerlich.
    »Außerdem bin ich vief zu jung für eine Ehe.«
    »Manche Mädchen werden schon vermählt, während sie noch in der Wiege hegen. Überlegt doch, wenn ihr ihn jetzt heiratet, werdet Ihr ihn wahrscheinlich jahrelang nicht wiedersehen. Aber Ihr seid gestärkt - und in Sicherheit. Begreift Ihr das nicht?« Ragwald senkte die Stimme. »Habt Ihr keine Achtung vor dem Andenken Eures Vaters, vor seinem Wunsch? Gerade jetzt dürft Ihr Euch nicht wie ein Kind aufführen, Melisande! »
    »Nun, ich bin doch ein Kind. Immer wieder weist Ihr auf meine Jugend hin. Und er nennt mich >kleines Mädchen    »Ihr sollt Euch nicht wie ein verwöhntes Kind benehmen, sonst wird sich Euer Vater noch im Grab umdrehen.«
    Falls Ragwald beabsichtigt hatte, sie schmerzlich zu verletzen, so war ihm das gelungen. Wieder einmal krampfte ihr tiefe Trauer um den toten Vater das Herz zusammen. Als sie den Burghof erreichten, herrschte sie Ragwald an: »Also gut, Astrologe, bestimmt über mein Schicksal! Was Ihr wünscht, soll geschehen. Aber bietet mir nie wieder Euren Rat an!« Abrupt kehrte sie ihm den Rücken und ließ ihn stehen.
    Ohne die Männer zu beachten, die ihr folgten, eilte sie zum Nordturm, wo sich die Schlosskapelle befand. Zahlreiche Leute hatten sich vor dem Eingang versammelt, bleich vor Trauer, manche mit tränennassen Wangen. Schweigend traten sie beiseite, um ihrer Gräfin Platz zu machen, und sie überquerte die Schwelle. Dahinter hielt sie inne, bis sich ihre Augen an das trübe, rauchige Kerzenlicht gewöhnt hatten.
    Die Kapelle war sehr einfach eingerichtet. Zwischen schlichten Holzbänken führte ein Mittelgang, mit einem roten Teppich bedeckt, zum Altar, vor dem der Graf auf einer Bahre lag. Jemand hatte ihm das Blut vom Gesicht gewaschen, ein Laken verhüllte seinen Hals, so dass man die tiefe Schnittwunde nicht sah. Die Augen waren geschlossen, die Finger schlangen sich um den Knauf seines Schwerts.
    Bei diesem Anblick konnte Melisande die Tränen, die sie so lange bekämpft hatte, nicht mehr zurückhalten. Sie schluchzte laut auf, verschwendete keinen Gedanken an die Leute vor der Tür, die sie belauschen mochten, und eilte zu der Bahre. Verzweifelt kniete sie neben ihrem Vater nieder. Seine entspannten Züge sahen aus, als würde er noch leben. Doch als sie seine Hand berührte, fühlte sich die Haut eiskalt an.
    »Nein, nein, nein, nein!« schrie sie immer wieder und’ wischte ihre Tränen weg, die auf seine erstarrten Finger gefallen waren. Er durfte nicht tot sein, sie musste noch einmal seine Stimme und sein Lachen hören. Weinend warf sie sich

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