03 - komplett
vorsichtig. Jacobs kleiner Kopf schmiegte sich an ihr Ohr, und sie spürte seinen warmen Atem auf ihrer Haut. „Er ist ganz schön schwer geworden und auch sehr groß.“ Sie umfasste mit der Hand die Füße des Babys.
June ließ sich indes von dem Ausweichmanöver ihrer Schwester nicht aus dem Konzept bringen. „Dich bedrückt doch etwas. Und damit meine ich nicht deine Eskapade mit John Vance, wenngleich dein Handeln natürlich nicht richtig war. Nein, da steckt noch etwas anderes dahinter. Meine kleine freche Sylvie ist verschwunden.
Du wirkst anders, irgendwie niedergeschlagen und kleinlaut.“
Sylvie schenkte June ein schiefes Lächeln. „Ich zeige Demut und Reue, das ist es. Ich fühle mich schrecklich töricht, weil ich allen so viel Ärger bereitet habe. Vermutlich geht dieser Anfall bald vorüber, und dann bin ich wieder der gewohnte lästige Quälgeist.“
„Mach keine Scherze! Wenn du mir schon nicht sagen willst, warum du deine Heiratspläne aufgegeben hast, dann erzählst du mir vielleicht, warum du dich überhaupt mit John vermählen wolltest.“ Als Sylvie herausfordernd das Kinn reckte, setzte June beschwichtigend hinzu: „Oh, ich mag John, obwohl er ein wenig ...“
Rasch unterbrach sie sich, als sie gewahrte, wie ausgesprochen taktlos ihre Bemerkung zu werden drohte. Sorgfältig wägte sie ihre Worte ab. „Was ich sagen will
... Natürlich weiß ich, dass John ein guter Freund von dir ist, aber ich hätte nie gedacht, dass du romantische Gefühle für ihn hegst.“
„Das tue ich ja auch gar nicht“, gab Sylvie bereitwillig zu, woraufhin ihre Schwester die Augenbrauen so hoch zog, dass sie beinahe unter den Locken auf ihrer Stirn verschwanden. Das Kind sanft in ihren Armen wiegend, meinte Sylvie: „Ach, Mama hat mir wieder in den Ohren gelegen, dass es höchste Zeit ist, mir einen Gatten zu suchen. Wenn ich schon die restlichen Tage meines Lebens mit einem Mann verbringen muss, dann wenigsten mit einem, den ich mag.“
„Woher willst du denn wissen, dass es keine anderen Herren gibt, die du magst?
Wenn du dich in den richtigen Kreisen bewegst, wirst du dem Richtigen sicherlich begegnen.“
„Ich möchte dich ja nicht beunruhigen, June, aber allmählich klingst du genau wie Mutter“, sagte Sylvie neckend. „Außerdem habe ich ihrem Drängen nun auch nachgegeben und mich damit einverstanden erklärt, euch zur Soiree der Robinsons zu begleiten.“
„Bedauerlicherweise sind Mr. und Mrs. Pemberton nicht zu Hause, Mylord“, sagte der Butler und verbeugte sich respektvoll vor dem Marquess. „Bitte kommen Sie doch herein, wenn Sie möchten. Ich lasse Ihnen gern eine Erfrischung servieren.“
Adam folgte der Einladung und trat über die Schwelle von Grove House am St.
James’ Square, aber nicht, weil er eine Stärkung brauchte. Vielmehr wollte er weitere Informationen. Er wusste, dass er unerwartet kam, und hatte mehr oder weniger in Betracht gezogen, June und William nicht anzutreffen, doch nun, da dem tatsächlich so war, verspürte er unerklärlicherweise eine tiefe Enttäuschung. Aber er war entschlossen, seine zugegebenermaßen vulgäre Neugier zu befriedigen.
„Werden die Herrschaften bald zurückkehren, Herbert?“, fragte er den Butler.
„In zwei Wochen, Mylord. Sie sind gestern nach Hertfordshire gereist, um Mrs.
Pembertons Familie einen Besuch abzustatten.“
Herbert bemerkte, dass Lord Rockingham gedankenverloren vor sich hinstarrte.
Seine Lordschaft war ihm, obwohl er als Schwerenöter berüchtigt war, sympathisch.
Gleich, was die Klatschzungen behaupten mochten, er wusste, dass er sich in Gesellschaft eines integeren Mannes befand, sonst hätte sein Herr William Pemberton, der über unfehlbaren Geschmack und tadellose Manieren verfügte, Lord Rockingham gewiss nicht zum Freund gewählt. „Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten, Mylord? Oder vielleicht ein kaltes Getränk?“, fügte er hastig hinzu. Seine Lordschaft mochte zwar ein netter Mann sein, doch der Butler war sich sicher, dass er härtere Getränke als Tee vorzog.
„Danke nein“, sagte Adam. „Sagen Sie, wo wohnt Mrs. Pembertons Familie in Hertfordshire noch gleich? Ich glaube mich zu erinnern, dass das Anwesen im Osten der Grafschaft liegt.“
„Das ist richtig, Mylord. Windrush liegt nahe der Grenze zu Essex. Eine sehr schöne Gegend, muss ich sagen. Besonders jetzt im Frühling.“
Nachdem er sich verabschiedet und die Steinstufen zu seiner Kutsche hinuntergestiegen war, blieb Adam auf
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