0302 - Der Unhold
Marcello, redete schnell auf ihn ein und bewegte dabei ihre Hände.
Wir hatten in der Kabine Decken bekommen, dennoch war unsere Kleidung feucht und klebte am Körper. Der kühle Wind fuhr dagegen. Er erzeugte ein fröstelndes Gefühl.
Über den Pier schaute ich hinweg.
Hänge, die zu Bergen anwuchsen, schoben sich vor uns in die Höhe. Nahe bei Neapel liegt der Vesuv, ein Vulkan, der hin und wieder ausbricht und seine Lava die Berge hinabschickt.
Claudia kam wieder zu uns zurück. »Ich habe meine Instruktionen gegeben«, sagte sie. »Wir können gehen.«
»Zunächst aber ins Hotel!«
Erstaunt blickte sie mich an. »Wollen Sie nicht mit meiner Tante reden?«
»Sicher. Nur in den nassen Sachen nicht.«
Sie lächelte. »Klar, daran habe ich nicht mehr gedacht. Wie heißt der Laden?«
Ich sagte den Namen.
»Das Hotel kenne ich. Kommen Sie, in der Nähe steht ein Wagen bereit! Wir können sofort los.« Damit waren wir natürlich einverstanden.
***
Man hätte mir schon Geld dazugeben müssen, denn freiwillig wäre ich des Nachts nicht in die Gegend gegangen, in die uns La Bandita führte. Das war Neapel in Reinkultur. Eng, manchmal handtuchschmal die Gassen. Ein Wirrwarr, in dem sich kaum ein Mensch zurechtfand. Alte, schiefe Häuser, von Erdbeben geschüttelt, mit Fassaden, die ein Muster aus Rissen und abgebröckeltem Putz zeigten.
Viele Treppen. Manchmal mit breiten, dann wieder mit schmalen Stufen, an den Kanten oft zerstört, rutschig und oft kaum zu sehen, da nur wenige Laternen brannten.
La Bandita bewegte sich in dieser Gegend mit der Sicherheit eines Menschen, der hier aufgewachsen ist und alles kennt. Manchmal wurde sie auch begrüßt.
Die Männer standen in Nischen und Ecken, man sah sie nicht, erst wenn sie wie Gespenster hervortraten, waren sie zu erkennen.
Ihre Gesichter glichen oftmals nur Flecken in der Finsternis, und wenn sie redeten, waren es nur geflüsterte Worte.
Claudia hatte zwar für jeden eine Antwort parat, wehrte jedoch immer ab und vertröstete. Das jedenfalls glaubte ich, aus den schnell gesprochenen Worten heraushören zu können.
Schließlich erreichten wir einen kleinen Platz mit einem Brunnen.
Eine Steinsäule schob sich aus der Mitte hervor und knickte an ihrem oberen Ende in vier Richtungen ab, aus denen das Wasser strömte.
Wir waren stehen geblieben, da auch Claudia stoppte. Sie deutete nach vorn, wobei ihr Zeigefinger direkt auf die dunkle Öffnung einer sehr schmalen Gasse wies.
»Da wohnt sie.«
Ich nickte. »Lassen Sie uns gehen!«
»Ja. Noch eins, Signores. Meine Tante ist ein wenig eigen. Sie ist zudem älter. Üben Sie etwas Nachsicht. Noch steht nicht fest, daß sie etwas mit dem Monstrum zu tun hat.«
»Natürlich.«
La Bandita ging wieder vor. Wir hielten uns einen Schritt hinter ihr und vernahmen plötzlich ein Lachen. Es drang aus einer Nische, die wie ein viereckiges Loch in der Wand eines Hauses gähnte. Die Stimme, die dem Lachen folgte, war zischend und flüsternd, zudem besaß sie noch einen schrillen Unterton.
»Willst du deiner Tante auch mal einen Besuch abstatten, Claudia?«
La Bandita war stehen geblieben. Sie schaute auf das bärtige Gesicht, das sich aus der Nische reckte. »Ja, Pietro, ich bin gekommen, um sie zu besuchen. Ist sie überhaupt da? Du weißt doch immer alles.«
»Sicher, sie ist da.«
»Danke, dann wissen wir Bescheid!« Claudia wollte weitergehen, doch aus der Nische stach plötzlich ein Arm, und eine schwielige Hand legte sich auf die Schulter der Frau. »Moment noch, La Bandita. Deine Tante ist in dieser Nacht sehr aktiv gewesen.«
»Was heißt das?«
»Sie war in der Abfallgrube.«
»Und? Ist das etwas Besonderes? Jeder Mensch wirft seinen Müll weg. Du vielleicht nicht, deshalb stinkst du auch so.«
»Sie aber noch stärker. Nach Teer, Claudia, sie roch nach Teer, und ihre Hände waren schwarz.«
»Ach, laß mich in Ruhe!« Claudia schüttelte die Hand des Mannes ab und ging weiter.
Als wir die Nische passierten, hörten wir das fistelnde Lachen des Kerls.
Mandra wollte wissen, worüber sich die beiden unterhalten hatten. Ich übersetzte es in Stichworten.
Vor einer alten Haustür blieben wir stehen. Claudia probierte die Klinke, fand die Tür verschlossen und hob die Schultern. »Das ist komisch«, sagte sie. »Sonst hat sie nie abgeschlossen.«
»Vielleicht ist sie doch nicht da«, sagte ich.
»Könnte ihr auch etwas passiert sein?« fragte Suko und bekam dafür von Claudia einen wütenden Blick
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