0322 - Das Fratzengesicht
keiner von uns, wie er reagieren würde.
Suko sagte: »Du denkst an Mandra, wie?«
»Ja.«
»Es ist schwer, John, ich weiß. Aber wenn wir den Dolch so lassen, setzen wir uns eine Laus in den Pelz.«
Davon war auch ich überzeugt. Deshalb wollte ich einen zweiten Versuch wagen. Diesmal direkter. Kreuz und Dolch mußten Kontakt miteinander bekommen.
Vielleicht hatten wir ja Glück.
Ich beugte mich vor. Die Verantwortung ruhte allein auf mir.
Schließlich war ich der Träger des Kreuzes, das unter anderem mit den Kräften der vier Haupterzengel gefüllt worden war.
Luzifer hatte auch einmal zu den Erzengeln gehört. Er war besiegt worden. In der ewigen Verdammnis gefangen, versuchte er immer wieder, seine bösartigen Taten und Pläne durch die Hilfe zahlreicher Diener in die Praxis umzusetzen.
Wo er erschien, regierte das Böse.
Shao stand noch einmal auf. Sie löschte das große Licht. Nur die Stehlampe mit dem gebogenen Arm stand noch in der Nähe. Ihre Helligkeit reichte völlig aus, um auch den Tisch zu beleuchten, wo die beiden so unterschiedlichen Gegenstände lagen.
Als die Chinesin wieder Platz genommen hatte, versuchte ich es.
Meine Finger zitterten ein wenig, als ich das Kreuz berührte. Ich konnte es einfach nicht vermeiden, weil zuviel auf dem Spiel stand.
»Soll ich den Dolch halten?« fragte Suko.
»Nein, laß mal.«
Ich wollte nicht, daß sich mein Freund einmischte. Das ging allein mich, den Träger des Kreuzes, an.
Shao saß steif in ihrem Sessel. Auch ihr Gesicht bildete eine Maske.
Sie hatte die Lippen fest zusammengekniffen, die Hände zu Fäusten geballt.
In den nächsten Sekunden würde es sich entscheiden, ob wir es schaffen konnten, die Magie des Dolchs zu zerstören.
Ich war schnell. Noch einmal sollte er mir nicht entwischen. Bevor der Dolch eine Gegenkraft aufbauen konnte, hatte ich das Kreuz bereits auf die Klinge gelegt.
Es kam zu einer Reaktion!
Kein Strahlen, kein Licht, keine lautlosen, gleißenden Detonationen.
Wir spürten etwas anderes, einen kalten unheimlichen Hauch, der uns streifte wie ein Guß Eiswasser.
Keiner wagte sich zu rühren. Wir saßen starr auf unseren Plätzen.
Wobei ich das Gefühl hatte, allmählich zu Eis zu werden.
Und dann sahen wir das Gesicht.
Es schwebte innerhalb des Raums und stand so, daß Shao, Suko und ich es erkennen konnten.
Schwarzblau die Farbe. Auch ein Grauschimmer war zu sehen.
Dabei sah es nicht einmal schlimm aus, nur der Ausdruck des Gesichts störte mich. Er zeigte einen solchen Hochmut und eine so große Menschenverachtung, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte.
Das Gesicht stand nur für die Dauer eines Gedankensprungs vor unseren Augen, dann verschwand es.
Und mit ihm die Kälte.
Noch immer saßen wir da und rührten uns nicht. Das Kreuz lag auf dem Tisch. Es verdeckte die Dolchklinge zum Teil, die sich, das konnten wir jetzt schon erkennen, nicht verändert hatte.
Nur unsere Atemzüge waren zu hören. Shao unterbrach das Schweigen.
»Was war das?«
Suko fühlte sich angesprochen. Als Antwort hob er die Schultern.
Er wußte nichts.
»Und du, John?«
Ja, was sollte ich sagen? Ich atmete tief ein, und ich hatte einen Verdacht, wobei ich kaum wagte, ihn auszusprechen, weil er einfach zu unwahrscheinlich war.
Auch die anderen schwiegen. Keiner wußte etwas zu sagen.
Vielleicht hatten sie den gleichen Gedanken wie ich, aber ich mußte mir alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen.
Wieder regte sich Shao. Sie griff zum Glas. Mit einer seltsam steifen Bewegung führte sie es zum Mund. Auch trank sie in sehr kleinen Schlucken. Danach behielt sie das Glas eine Handbreit vor ihren Lippen und sagte mit kaum zu verstehender Stimme: »Ich glaube, das war er.«
Jetzt fand ich den Mut zu einer Antwort: »Luzifer!«
Suko zuckte zusammen. Er hatte mich ebenso verstanden wie Shao. Es war kaum zu fassen, er hatte schwer an dieser Antwort zu knacken, nickte und fragte gleichzeitig: »Wie kommst du darauf?«
»Asmodis jedenfalls war es nicht«, gab ich leise zurück. »Nein, auf keinen Fall. Hast du die Kälte gespürt? Das war ein Wesen, das noch über dem Teufel steht. Ich kann es kaum ausdrücken. Es war das absolut Böse, so schlimm, daß ich es nicht ausdrücken kann. Tut mir leid, ich finde keine Worte.«
Das Nicken meiner Freunde bestätigte mich. Wir schauten gemeinsam auf den Dolch, sahen ihn liegen, und er war ebenso unbeschädigt wie das Kreuz.
Beide hatten einander nichts getan, aber das Böse, das
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