0323 - Ich jagte das »Blaue Gesicht«
Handschuhfach. Ich fühlte den brünierten Griff des Revolvers, zog die Waffe heraus und betrachtete sie.
Es war ein 38er Colt mit Sechs-Zoll-Lauf. Ich roch daran und stellte fest, daß seit dem letzten ölen kein Schuß abgegeben worden war. Jedenfalls war kein Korditgeruch spürbar.
Ich schob den Colt in meinen Hosenbund, stieg aus dem Wagen, schloß leise den Schlag, knipste das Licht aus, verließ die Garage und ließ das zweiflügelige Tor ins Schloß fallen. Durchs Küchenfenster gelangte ich zurück ins Haus. Während der nächsten Minuten hatte ich damit zu tun, endlich den Kaffee zu kochen.
***
Vier Stunden später saßen wir auf der Terrasse, im Schatten der Bäume, und frühstückten: Hasting, seine Frau, Phil und ich.
Es gab gebratenen Speck mit Rührei, Tomatensaft, starken Kaffee und Toast mit Zitronenmarmelade. Ich war hundemüde, stocherte appetitlos auf meinem Teller herum, und Phil gähnte ein dutzendmal pro Minute.
Hasting war frisch und energiegeladen. Seine Frau schien zuversichtlicher als am Vortag.
Nach dem Frühstück schlenderte ich ein wenig durch den Garten, während Phil im Haus blieb. Die Südseite des Grundstücks war reichlich zweihundert Yard lang. Hinter der dichten hohen Hecke, die das Grundstück begrenzte, war der Liver Lake Park, eine ausgedehnte Grünanlage, die drittgrößte ihrer Art in Richmond. Es gab hohe Laubbäume mit weitausladenden Ästen, viel Buschwerk, gepflegte Rasen- und Tennisplätze, ein halbes Dutzend kleine Teiche, Blumenrabatten und Kieswege.
Ich inspizierte die Hecke, die das Grundstück umgab, und stellte fest, daß ein fast undurchdringliches Geflecht aus stabilem, grüngefärbtem Stacheldraht in sie hineingewoben war.
Ohne Drahtschere gab es hier kein Durchkommen.
Als ich zu der Ville zurückging, kam mir Hasting aufgeregt gestikulierend entgegen.
»Mr. Cotton«, röhrte er schon von weitem, »mir hat jemand meinen Revolver gestohlen.«
»Wie kommen Sie darauf?« fragte ich.
»Er ist weg.«
»Hier ist er«, erwiderte ich und zog ihn unter der Jacke hervor. »Ich habe ganz vergessen, Ihnen zu sagen, daß ich ihn heute nacht an mich genommen habe. Er lag im Handschuhfach Ihres Cadillac.«
Hasting starrte mich verblüfft an. »Natürlich, da liegt er ja immer. Aber wie kommen Sie dazu, ihn wegzunehmen?«
Ich erzählte ihm, daß ich durch das Klappern der Garagentür aufmerksam geworden war und nachgeschaut hatte.
Der Millonär schüttelte den Kopf. »Komisch. War ich denn heute nacht so zerfahren, daß ich vergessen habe, die Garage zu schließen.«
»Offenbar. — Pflegen Sie die Tür nur zuzuklinken, oder verschließen Sie…«
»Ich verschließe sie nie«, unterbrach er mich, nahm mir den Revolver aus der Hand und ließ prüfend die Walze rotieren. »Aber Sie haben mir immer noch nicht gesagt, warum Sie den Revolver aus dem Handschuhfach nahmen.«
»Es stand offen. Und ich halte es für sehr riskant, eine geladene Schußwaffe so frei herumliegen zu lassen.« Hasting starrte mich mißtrauisch an und schob die Waffe in die Außentasche seines Jacketts.
»Wollen Sie in die Stadt?« fragte ich.
»Nachher erst, gegen neun. Ich bin aber bald wieder zurück.«
»Wo können wir Sie erreichen?«
»In meinem Büro in der Wall Street. Die Nummer finden Sie im Telefonbuch.« — Er war nicht so lieben würdig, sie mir zu nennen. — »Ich wollte vorhin den Revolver aus meinem Wagen holen, um einige Probeschüsse abzugeben. Ich habe nämlich einen kleinen Schießstand im Keller. Und im Augenblick scheint es mir ziemlich notwendig zu sein, daß ich mir meine Treffsicherheit erhalte.— Kommen Sie mit?«
»Gern.«
Wir traten in das Haus und stiegen hinab in den Keller.
Am Ende eines langen schmalen Ganges, der mit starken Neonröhren gut ausgeleuchtet war, hatte Hasting einen Kugelfang aus Bleiplatten, einem Holzrahmen und Sandsäcken errichtet. Davor stand eine Holzplanke, aus der Kugeln viele Splitter gefetzt hatten. Auf der Planke waren Zielscheiben befestigt. '
Aus ungefähr fünfzehn Yard Entfernung hob Hasting seine Waffe. »Mal sehen, ob es eine Zehn wird.«
Seine Hand war völlig ruhig, und in seinem fleischigen Gesicht stand ein gespannter Ausdruck. Ich sah, wie sich Hastings Zeigefinger krümmte. Der Hahn der Waffe zuckte zurück und schlug wieder vor.
Ich hatte im engen Kellergewölbe eine ohrenbetäubende Detonation erwartet, aber nur ein leises Klicken ertönte.
»Nanu?« sagte Hasting. »Ein Versager? Und das, wo ich zwanzig
Weitere Kostenlose Bücher