033
fest, dass der Junge sich ihm genähert hatte.
„Der Mann aus dem Gefängnis, den man hängen will, dieser O'Keefe."
Schweigend hielt Devlin dem Blick des Jungen einen Moment lang stand und gab dann ehrlich zu: „Ja, ich bin dieser Mann."
Jimmy nickte wissend. Er wirkte viel älter als acht Jahre. „Das habe ich mir schon gedacht. Ich wusste, Molly muss einen guten Grund haben, Sie zu verstecken."
„Ich weiß es zu schätzen, dass du niemandem etwas gesagt hast."
Der Junge zuckte mit den Schultern. „Ich habe ihr versprochen, Schweigen zu bewahren." Er hielt inne und fuhr nach kurzer Pause neugierig fort: „Warum haben Sie Senor Santana getötet?"
Devlin sank das Herz. Offenbar hielt jedermann ihn für schuldig. „Ich habe Mr.
Santana nicht umgebracht", antwortete er ruhig. „Aber das scheinen alle Leute zu glauben."
„Wieso?"
„Der Sheriff hat auf Mr. Santanas Ranch Teile von meinem Silbergürtel gefunden und mich dadurch mit dem Verbrechen in Verbindung gebracht. Die Wahrheit ist jedoch, dass ich nie auf Mr. Santanas Ranch war und den Mann daher auch nicht erschossen habe. Ich weiß nicht, wie die Beweisstücke dort hingekommen sind."
„Was wollen Sie dagegen unternehmen?"
„Ich kann nicht sehr viel tun. Ich habe einen Freund namens Clay, der versucht, mich freizubekommen. Einstweilen kann ich jedoch nur herumsitzen und warten und hoffen, dass meine Unschuld im Prozess erwiesen wird."
„Molly muss Sie für schuldlos halten, denn sonst hätte sie Sie nie hergebracht."
„Ich bin froh, dass sie Vertrauen zu mir hat. Und wie ist es mit dir, Jimmy? Was denkst du?"
Jimmy war einen Moment lang nachdenklich und äußerte dann mit der naiven Ehrlichkeit eines Kindes: „Wenn Molly meint, Sie seien schuldlos, dann denke auch ich so. Sie werden doch nicht zu fliehen versuchen, oder?"
„Nein, ich werde nicht fliehen. Wenn ich fliehen würde, hielten die Leute mich wirklich für schuldig", erwiderte Devlin überzeugt. Er wollte frei sein, doch nicht auf Kosten seines guten Rufs. Er wollte nicht als ein vom Gesetz Verfolgter durchs Leben gehen.
Aufmerksam hatte Jimmy zugehört und Mr. O'Keefe nicht mit den Maßstäben der Logik eines Erwachsenen beurteilt, sondern mit denen eines kindlichen Gefühls. Mr.
O'Keefe entsprach in nichts Jimmys Vorstellung von einem Mörder. Er schaute ihm in die Augen und redete wie von Mann zu Mann mit ihm. Er war nett und ganz bestimmt mutig, wenn er nicht zu fliehen versuchte, wie das ein gewöhnlicher Krimineller getan hätte. Jimmy war von Mr. O'Keefes Schuldlosigkeit überzeugt.
„Keine Angst", sagte er beruhigend. „Ich werde niemandem erzählen, dass Sie hier sind. Das habe ich Molly versprochen, und ein Versprechen breche ich nicht."
Nachdem er die Situation für sich geklärt hatte, kehrte er zur Mutter zurück.
Es war spät geworden, als Molly endlich die Arbeit erledigt hatte. Erschöpft legte sie den Weg nach Hause zurück, wusste jedoch, dass ihr eine lange Nacht bevorstand.
Sie musste sich wieder um die Mutter kümmern und schwankte zwischen der Angst, ihr könne es schlechter gehen, und der Hoffnung, das Befinden könne besser geworden sein. Und diese innere Unruhe, verbunden mit der Sorge um Mr. O'Keefe, hinterließ Spuren bei ihr.
Sie hatte Jimmy angewiesen, er solle, sobald sie außer Haus war, die Tür verriegeln, und stellte zufrieden fest, dass sie fest versperrt war. Sie klopfte leicht an die Tür.
„Ich bin es, Molly", rief sie leise, weil sie die Mutter nicht stören wollte, falls diese schlief. Nach einem kurzen Moment hörte sie den Schlüssel sich im Schloss drehen.
Die Tür ging auf, und Molly sah sich Mr. O'Keefe gegenüber.
Sie war bestürzt über die Aufwallung von Liebe, die sie bei seinem Anblick empfand.
Er sah so kraftvoll und gut aus, dass ihr der Atem stockte, und verwundert überlegte sie, wieso er ihr nach derart kurzer Zeit schon so viel bedeutete.
Er war froh, dass sie zurück war. Bis zu dem Augenblick, da er sie wieder gesehen hatte, war ihm nicht bewusst gewesen, wie sehr er sie vermisst hatte. Rasch trat er beiseite, um sie ins Haus zu lassen, und flüsterte beinahe sehnsüchtig ihren Namen: „Molly."
Seine Anwesenheit lähmte sie, so dass sie sich zwingen musste, sich in Bewegung zu setzen. Sie rief sich zur Ordnung, eilte ins Haus und verriegelte hinter sich die Tür.
Um das innere Gleichgewicht zu wahren, lenkte sie sich ab und erkundigte sich:
„War alles in Ordnung? Wie geht es meiner
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