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033

033

Titel: 033 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: In seidenen Fesseln
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Porträt meiner Tochter mitgebracht …"

5. Kapitel
    Vier Tage! Man war erst seit vier Tagen unterwegs, und dennoch kam Reina die Zeit wie eine Ewigkeit vor. Bedrückt saß sie in der schlecht gefederten Postkutsche, die rumpelnd und schaukelnd auf dem Weg gen Süden nach Los Angeles fuhr. Sie war zwischen einem schmächtigen, hellhaarigen, achtjährigen Mädchen namens Melissa und der harten Wagenwand eingezwängt und bemühte sich verzweifelt, nicht vom Sitz zu fallen und die Würde zu bewahren. Das fiel ihr nicht leicht, weil das zuvor noch so tadellos saubere weiße Nonnengewand mittlerweile zerknautscht und staubig war. Auch der früher so perfekt gestärkte Schleier hing durch die wachsende Hitze schlaff herunter.
    „Eine ungemütliche Fahrt, nicht wahr, Schwester?" fragte der hagere, gutmütige, leicht grauhaarige alte Cowboy namens Poke, der ihr gegenübersaß.
    „Ja, Mr. Poke. Die Reise ist wirklich ungemütlich", antwortete sie und war bemüht, Haltung zu bewahren. Unerwartet rollte die Kutsche jedoch durch ein neues Schlagloch, so dass Reina gegen die Wagenwand gepresst wurde und beinahe die Geduld mit dem tollpatschigen Kutscher verloren hätte. Verärgert fragte sie sich, ob der Trottel nicht sah, wohin er fuhr. Konnte er nicht kutschieren? Wenn er weiterhin so ungeschickt war, dann würde sie bald überall blaue Flecke haben. Schon im Begriff, ihm ihre Meinung über seine Fahrkünste zuzurufen, fielen ihr Marias warnende Worte ein, sie müsse zu jeder Zeit wie eine echte Nonne wirken.
    Verstimmt unterdrückte sie den Drang, den Kutscher zurechtzuweisen. Sie war jetzt Schwester Maria Regina und nicht mehr Reina Isabella Alvarez.
    „Ich habe Ihnen gesagt, Schwester, dass Sie mich nicht mit ,Mister' ansprechen müssen. Sagen Sie einfach nur Poke zu mir." Er grinste sie an und enthüllte dabei unregelmäßige, vom Rauchen braun gewordene Zähne.
    „Also gut, Poke", gab sie schließlich nach. Sie hatte sich den Anschein der Distanziertheit geben wollen, um seitens der anderen Reisenden jeden Versuch im Keim zu ersticken, allzu vertraulich zu werden. Seit der Abreise aus Monterey hatte der Cowboy sich jedoch dauernd bemüht, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Der alte Mann hatte zwar nichts Bedrohliches an sich, doch sie wollte einfach nicht gestört werden, weder von ihm noch von irgendje-mandem sonst. Nun begriff sie erbost, dass ihn höchstens ein strafender Blick und eine kühle, kurz angebundene Abfuhr entmutigen würden, und genau das durfte Schwester Maria Regina nicht tun.
    Er lächelte breit, als habe soeben ein bemerkenswertes Ereignis stattgefunden. „Wie weit fahren Sie, Schwester?"
    Sie war ergrimmt, zwang sich indes, ihn so heiter wie möglich anzulächeln. „Ich will nach Fort Smith." Sie wurde sich gewahr, dass sie, bis sie in den Habit geschlüpft war, nie so viel hatte lächeln müssen. Sie hatte das Gefühl, die Haut ihres Gesichtes müsse von all der Scheinheiligkeit rissig werden und platzen. Das Herz floss ihr keineswegs über vor Glück, ganz gleich, wie fromm sie wirkte. Dennoch erstaunte es sie, wie hemmungslos die anderen Passagiere auf die Zurschaustellung angeblicher Gelassenheit reagierten. Sie hatte den Eindruck, dass sie sich beinahe zu ihr hingezogen fühlten.
    „Nach Fort Smith?" Mr. Poke schaute sie noch respektvoller an. „Du meine Güte, Schwester! Das ist eine verdammt . . . äh, hm . . . Verzeihung, Madam, . . . äh, meine Damen." Er sah etwas beschämt aus, als ihm bewusst wurde, was er vor den Frauen geäußert hatte, und entschuldigte sich rasch bei der Nonne, der jungen Melissa und Mrs. Ruth Hawks, deren gesetzter Mutter, die an der anderen Seite des Mädchens saß.
    „Schon gut, Poke", erwiderte Reina großmütig. Es verblüffte sie zu sehen, dass er nach dieser wohlwollenden Äußerung über das ganze Gesicht strahlte. Seine Reaktion brachte sie ins Grübeln. Ihr Leben lang hatte sie herrisch auf der Erfüllung ihrer Wünsche bestanden, die ihr nie versagt worden waren. Jetzt, nachdem sie gesehen hatte, wie der Cowboy auf ihre Freundlichkeit reagierte, wurde sie sich gewahr, dass sie daheim die gleiche Wirkung hätte erzielen können, ohne auf ihr eigensinniges Getue zurückgreifen zu müssen.

    Poke räusperte sich und äußerte: „Wie gesagt, Schwester, für eine Dame wie Sie ist das ist eine verflixt lange Reise."
    „Das weiß ich", stimmte sie zu, bemüht, bei dem Gedanken, dass ihr noch mindestens zehn Reisetage in dieser elenden Kutsche

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