033
Moment sah er die Nonne erröten und begriff, dass sie in Verlegenheit geraten war, weil er sie so dreist angestarrt hatte. Jäh empfand er Gewissensbisse. Sie war eine Nonne! Er bemühte sich, nicht mehr daran zu denken, wie schön sie war, und kämpfte gegen die für sie erwachenden Gefühle an, vermochte sich indes im gleichen Moment nicht zu erklären, warum eine so offenkundig attraktive Frau einem Orden beigetreten war. Gewiss war sie von Bewunderern umworben worden, ehe sie die
ewigen Gelübde abgelegt hatte. Er fragte sich, wieso sie beschlossen hatte, sich der Weltlichkeit zu entziehen. Verwundert steckte er die Pistole ins Halfter, und erst in diesem Augenblick, da er jäh Schmerzen verspürte, fiel ihm die Schusswunde ein.
Sein vorsichtiges Verhalten machte Reina aufmerksam, und erst jetzt fielen ihr der behelfsmäßige Verband um seinen Arm und das blutige Hemd auf. „Sie sind verletzt."
„Ach, das ist nur ein Kratzer." Er versuchte, ihre Besorgnis abzutun, doch sie wusste, dass ein Kratzer nicht so stark blutete.
„Sie müssen mir erlauben, die Wunde ordentlich zu verbinden", erbot sie sich rasch.
„Nein, das ist unnötig."
„Ganz im Gegenteil, Mr. ..."
„Cordell, Clay Cordell", stellte er sich vor.
„Sie haben Ihr Leben für uns riskiert, Mr. Cordell. Das Mindeste, was ich nun tun kann, ist, Ihre Wunde zu versorgen. Kommen Sie mit!" fügte sie drängend hinzu und ergriff seinen gesunden Arm, um ihn zur Postkutsche zu ziehen. Das Gefühl seiner harten Muskeln verunsicherte sie, und der Eindruck war so stark, dass sie beinahe, als habe sie sich durch die Berührung verbrannt, Mr. Cor-dells Arm losgelassen hätte. Ihr war jedoch klar, dass sie das nicht tun konnte, ohne Befremden zu erregen. „Setzen Sie sich hier in den Schatten. Ich hole eine Feldflasche und werde nachsehen, ob etwas vorhanden ist, das ich als Verband verwenden kann."
„Einverstanden", willigte Clay ein, setzte sich und lehnte sich an das Kutschrad.
Flüchtig schloss er die Augen und bemühte sich um Selbstbeherrschung. Die sachte Berührung durch die Nonne hatte ihn in einen Gefühlsaufruhr gestürzt, und daher war er froh darüber, dass sie ihn eine Weile allein ließ. Sie war zu hübsch und strahlte etwas aus, das Gefühle in ihm weckte, die er nicht haben wollte.
„Auch Mr. Cordell ist verletzt, Mrs. Hawks. Haben wir etwas, das ich zum Verbinden seines Armes benutzen kann?" erkundigte Reina sich und blieb vor der offenen Wagentür stehen.
„Ja, Schwester", antwortete Ruth, während sie sich mit dem Kutscher um Mr. Poke bemühte. „Hier!" Sie hielt der Nonne einige von einem Unterrock, den Melissa aus dem Gepäck geholt hatte, abgerissene Stoffstreifen hin.
„Danke." Reina nahm die Streifen an sich, holte eine mit Wasser gefüllte Feldflasche und kehrte zu Mr. Cordell zurück.
„Brauchen Sie Hilfe?" fragte Ruth, da man alles für Mr. Poke getan hatte, was unter den gegebenen Umständen möglich war.
„Nein, danke", antwortete Reina und wunderte sich darüber, dass sie sich nicht von der anderen Frau helfen lassen wollte. In ihrer Lage hatte sie keine Zeit, sich mit Männern zu befassen. Selbst wenn sie die Freiheit dazu gehabt hätte, wäre sie nie an einem Mann wie Mr. Cordell interessiert gewesen. Daher erstaunte es sie, dass sie mit ihm allein sein wollte.
Er sah sie kommen. „Geben Sie mir die Streifen. Ich kann mich selbst verbinden."
„Das macht mir keine Mühe", lehnte sie sein Ansinnen ab. „Schließlich haben Sie uns vor dem Tod bewahrt. Das war sehr selbstlos von Ihnen. Das ist das Mindeste, was ich tun kann, um Ihnen Ihr tapferes Verhalten zu vergelten."
„Sie waren mutig, Schwester", erwiderte Clay und beobachtete jede ihrer Bewegungen, während sie sich neben ihn hockte. Es verblüffte ihn, dass sie sich nicht darum sorgte, sie könne sich den weißen Habit schmutzig machen. Sie schien nur darauf bedacht zu sein, ihm zu helfen. Solche Hochherzigkeit war er bei anderen Frauen nicht gewohnt. „Nicht jeder, der in Ihrer Lage gewesen wäre, hätte sich so wie Sie gegen die Verbrecher behauptet."
„Aber Sie waren derjenige, der uns wirklich vor ihnen gerettet hat. Wer weiß, was passiert wäre, hätten Sie sich nicht hier eingefunden."
Clay hatte sich ihr Lob angehört und war nun noch schuldbewusster. Seine Beweggründe waren keineswegs selbstlos gewesen. Er hatte einen Grund dafür, in dieser Gegend zu sein, und allen Anlass gehabt, die Reisenden vor Schaden zu bewahren. Und dieser
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