0333 - Drei Herzen aus Eis
hatte wieder die normale Größe angenommen, so daß ich sie anfassen und vom Boden hochheben konnte.
Vielleicht war sie ein wenig dicker als ein normales Tier, ansonsten stellte ich keinen Unterschied fest.
Suko kam zu mir.
Die Taube lag auf meinem Handteller. Sie lebte noch, hatte den Kopf gedreht, der Schnabel stand offen, und ich glaubte, Qual in ihren Augen lesen zu können.
Es war auch das Einschußloch zu sehen, wo sie die geweihte Silberkugel getroffen hatte Ein letzter Blick traf mich. Er kam mir nicht anklagend vor, sondern irgendwie froh, daß das Tier es endlich hinter sich hatte. Danach sank der Kopf nach vorn, und die Taube war in meiner Hand gestorben.
Ich schaute meinen Freund an.
Suko hob die Schultern. »Verlange keine genaue Erklärung von mir, John. Ich kann sie dir nicht geben.«
»Das wollte ich auch nicht. Seltsam ist es schon.« Mit der toten Taube gingen wir zu Meurisse zurück.
Der Franzose hockte noch immer auf der Grabmauer. Er hatte seine Wunde selbst verbunden. Das Tuch zeigte eine rote Färbung. Als er uns und die Taube sah, bekam er große Augen.
»Ist sie das?«
»Ja, sie ist wieder geschrumpft.«
»Wie kann das möglich sein?«
»Eine exakte Erklärung kann ich Ihnen auch nicht geben. Wahrscheinlich hat eine Magie die andere zerstört.«
»Wobei Ihre stärker war.«
»So sieht es aus.«
Meurisse schüttelte den Kopf. »Hätte mir das jemand erzählt, ich hätte ihn wirklich in eine Anstalt einweisen lassen. Aber so ist alles anders gekommen.«
Ich wollte die Taube auch nicht mehr länger festhalten und legte sie deshalb zu Boden.
Kaum hatte sie Kontakt, als das geschah, womit wir eigentlich schon lange gerechnet hatten.
Die Taube löste sich auf.
Vor unseren Augen zerfiel sie. Die Federn rutschten zur Seite und zerbröselten. Als Staubschicht blieben sie auf dem Weg liegen. Das gleiche geschah mit den Knochen, dem Kopf, dem Schnabel. Von der Taube blieb nichts übrig. Sogar meine Silberkugel entdeckte ich wieder und danach etwas anderes.
Ich konnte es nicht glauben, ich wurde bleich, hörte den eisenharten Meurisse stöhnen und Suko scharf die Luft ausstoßen.
Vor uns lag ein menschliches Herz!
Niemand redete. Ich ging einen Schritt zur Seite, setzte mich neben Paul Meurisse auf den schmalen Mauerrand, holte meine Zigaretten hervor und zündete ein Stäbchen an. Den Rauch blies ich in die Dunstwolken. Er verquirlte dort mit ihnen.
Ich spürte das Zittern der Hände, den Druck im Magen und die Kälte auf meinem Rücken. Mit allem hatte ich gerechnet, nur damit nicht.
Hier also sah ich ein Herz wieder. Und es mußte einfach zu den Herzen gehören, die einem der Mädchen in London entnommen worden waren.
Eine andere Möglichkeit gab es nicht für mich.
»Sinclair«, sagte Meurisse leise. »Sie haben recht gehabt. Sie haben so verdammt recht gehabt. Die beiden Fälle hängen zusammen.«
»Stimmt.«
»Und jetzt?« fragte Meurisse. »Ich muß Ihnen ehrlich gestehen, daß ich ratlos bin. Damals auf der Schönheitsfarm wußte ich, was ich zu tun hatte, da waren die Gegner bekannt, aber hier haben wir nur einen Vornamen, da lauert jemand im Hintergrund, der geschickt seine Fäden zieht. Wir wissen nicht, wie er aussieht, wie…«
Er hob die Schultern und brach sein Gespräch ab.
»Haben Sie eine Hülle? Wir müssen das Herz schließlich einpacken.«
»Ja, die habe ich.«
Wie fast alle Kriminalbeamten, so trug auch Meurisse dünne Plastikhüllen bei sich. Er holte sie aus der Tasche. Ich öffnete sie und legte das Herz hinein.
Es schlug nicht, es konnte nicht mehr leben, dennoch hatte es sich im Körper dieser Riesentaube befunden.
»Suchen Sie nach einer Erklärung, Sinclair?«
»Sicher.«
»Ich auch. Aber ich habe keine.«
»Wissen Sie, Meurisse, wenn Sie sich so lange mit außergewöhnlichen Dingen beschäftigen wie ich, kann man schon so etwas wie Erklärungen finden.«
»Da bin ich gespannt.«
»Der Teufel«, sagte ich, »denn da müssen wir anfangen, interessiert sich für viele Dinge. Besonders für die, die das menschliche Leben betreffen. Und ist das Herz nicht das Wichtigste, das der Mensch besitzt? Wenn es nicht mehr schlägt, kann auch der Mensch nicht mehr weiterleben, und so wird der Satan immer wieder versuchen, gerade das Herz in seine Gewalt zu bekommen. Da kann er manipulieren und Menschen in seine Gewalt bringen. Wenn Sie die entsprechende Literatur durchforsten, werden Sie immer wieder auf dieses Phänomen stoßen.«
»Gibt es den
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