0345 - Villa Frankenstein
Kaff am Ende der Welt. Nach London oder Manchester, da müßte man hin.«
»Willst du auch weg?« fragte Helen.
»Im Prinzip ja. Nur sind wir beide zu alt. Irgendwann wird uns das Moor fressen.«
»Vielleicht legen sie es trocken.«
»Nein, nicht mehr. Wäre auch schlecht für die Umwelt, habe ich mir sagen lassen. So werde ich weiter Torf stechen müssen.«
»Sei froh, daß du es kannst. Vor allen Dingen in eigener Regie. Du bist selbständig, ein Unternehmer, kannst dir deine Arbeitszeit einteilen und brauchst keinen zu fragen.«
Rod begann zu lachen. »Natürlich kann ich mir meine Arbeitszeit einteilen. Sogar so gut, daß oft genug vierzehn Stunden am Tag dabei herauskommen. Wir schuften wie verrückt, nur bleibt uns nicht viel. Das ist es ja, was mich fertigmacht.«
Sie hatten mittlerweile das Zimmer verlassen und gingen die Treppe ins Erdgeschoß hinab. Das alte Haus hatten sie vor zwei Jahren renovieren lassen dennoch war die Feuchtigkeit nicht aus den Mauern zu bekommen. Schon jetzt wurden die Tapeten wieder grau.
Das Ehepaar betrat das Wohnzimmer. Durch das Herausbrechen einer Wand war ein großer Raum entstanden, und auch das neue Fenster paßte dazu. Es führte in den Garten, der ständig gepflegt werden mußte, da in der feuchten Luft alles wucherte und fast zuwuchs.
Helen ließ sich in einen Sessel fallen. Er stand schräg zum Fenster, und sie konnte nach draußen schauen, wo der Wind durch den Garten fuhr, gegen die Bäume und Büsche blies, so daß deren Zweige und Äste einen heftigen Tanz aufführten.
Helen war nicht abergläubisch. Dieser Tanz allerdings erinnerte sie an einen gespenstischen Reigen. Von Gespenstern oder Geistern gab es in der Sumpfgegend genügend Geschichten. Welche Geheimnisse er barg, darüber konnte man nur mehr spekulieren. Klar, daß sich die Menschen deshalb die wüstesten Geschichten erzählten.
Rod Wayne kam zurück.
In der rechten Hand trug er die Bierflasche. Er hatte sie bereits geöffnet, wollte zum Schrank, um sich einen Bierkrug zu holen, als er nach zwei Schritten stehenblieb und auf die Scheibe starrte. Seine Frau hatte nur eine Lampe brennen lassen. Das Fenster lag noch ziemlich im Dunkeln.
»Was hast du, Rod?«
»Verdammt!« zischte Wayne. »Da ist jemand im Garten!«
Helen wurde bleich. »Wer denn?«
»Habe ich nicht erkannt, aber ich sah die Bewegung.« Rod hatte plötzlich keinen Durst mehr. Er stellte die Flasche auf den Tisch und bewegte sich auf die Glastür neben dem Fenster zu. »Da werde ich mal nachschauen.«
»Sei vorsichtig, Rod.«
Der Mann mit dem grauen Haar und dem hageren Gesicht drehte sich zu seiner Frau um. »Es wird schon kein Killer sein. Und Einbrecher?« Er lachte. »Bei uns gibt es nicht viel zu holen. Außerdem wird keiner unserer Mitbewohner hier einbrechen wollen.«
»Man schaut den Menschen nur vor den Kopf.« Auch Helen starrte jetzt auf die Scheibe, während ihr Mann bereits den Türgriff festhielt.
Er sah das Monstrum nicht, dafür seine Frau.
Zunächst war Helen unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen.
Der Unheimliche tauchte wie ein gewaltiger Schatten vor dem Fenster auf. Die Scheibe verzerrte die Sichtperspektive ein wenig, so daß das Monster noch klobiger wirkte, als es tatsächlich war.
Und es kam näher.
»Roood!« Jetzt erst gellte der Schrei auf.
Gleichzeitig sah Helen hinter der Scheibe die Bewegung. Dann ging alles blitzschnell.
Plötzlich flog etwas auf das Fenster zu. Im nächsten Augenblick zersplitterte die Scheibe. Dabei gab es noch einen Knall, und ein wahrer Regen von Scherben wirbelte in das Zimmer. Sogar Helen wurde von einigen Splittern getroffen. Sie hockte im Sessel und schrie, während sich ihr Mann nicht bewegte und auf den Gegenstand starrte, den jemand durch das Fenster in ihr Haus geschleudert hatte.
Es war ein Mensch.
Eine Leiche!
Sie lag vor dem Tisch, war auf den Rücken gefallen und hatte die Arme ausgebreitet, während draußen das Monstrum mit grotesk wirkenden Bewegungen verschwand und dabei ein rauhes, unheimlich klingendes Lachen ausstieß, das durch die Stille des Dorfes hallte…
***
Das Ehepaar Wayne stand unbeweglich. Beide hatten einen Schock bekommen, sie wagten nicht, sich zu rühren und starrten nur auf den Toten, der inmitten des Zimmers lag.
Die Scheibe war völlig zerstört worden. Nur mehr Reste hingen wie scharfe Messer in den Kanten und an den Ecken. Sie bewegten sich sogar, wenn der Wind durch das große Loch fuhr, auch die Scherben im Zimmer
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