0347 - Satans Mädchenfänger
meinen wertvollen Talisman genauer an. Ich beobachtete ihn dabei und entdeckte, daß er weiß im Gesicht wurde. Die Haut bekam einen bleichen Touch, das Blut schien aus den Adern zu strömen. Mit seinem ausgestreckten Zeigefinger deutete er auf die Mitte des Kreuzes.
»Es stimmt doch, was ich da gesehen habe, oder?«
»Ja, du siehst richtig.«
»Das L«, flüsterte er, »verdammt, das L steht für Lilith, nicht wahr, John?«
Ich nickte.
Jetzt schluckte auch Suko. Er schaute mir direkt ins Gesicht. Ich sah ihm an, daß er etwas sagen wollte, schon den Mund öffnete, doch es drang kein Wort über seine Lippen.
»Es ist vorbei, Suko«, flüsterte ich und schloß die Finger um das Kreuz. »Wir können es vergessen.«
Hatte bisher jeder von uns versucht, den anderen, wenn er niedergeschlagen war, aufzuheitern, so fiel das flach. Suko wußte ebenso wie ich, daß es nicht möglich war, mit Worten meine Depression zu zerstören, deshalb sagte er nichts und schaute zu Boden.
In mir tobte eine Hölle.
Es war eine Hölle der Enttäuschung. Die Augen hielt ich fest zusammengekniffen. In diesem Moment hätte jemand mit einer Waffe auf mich zielen können, ich hätte ihn schießen lassen. Ein selten erlebtes Gefühl der Enttäuschung war über mich gekommen. Ich stand da, spürte kaum, daß ich vorhanden war und hatte das Gefühl, über dem Dach zu schweben. Ich merkte wohl, daß sich meine Lippen bewegten, ein Wort bekam ich nicht aus dem Mund. Alles war vertrocknet, verkümmert. Meine gesamte Psyche hatte sich völlig gedreht.
Ohne Kreuz war ich hilflos.
Obwohl ich es noch bei mir trug, kam ich mir vor, als hätte ich es verloren.
Schlimm…
Ich schluckte ein paarmal, setzte erneut an, um etwas zu sagen und mußte wieder feststellen, daß es einfach nicht klappte. Zu stark hatte mich das Grauen getroffen.
»Okay, John«, vernahm ich Sukos Stimme. »Ich weiß, wie es in dir aussieht, aber es muß auch weitergehen.«
Ich lachte auf. »Wie denn?«
»Das werden wir sehen.« Suko hatte sich vor mir aufgebaut und eine Hand auf meine Schulter gelegt. Ich öffnete meine Rechte. Der Freund und ich konnten auf das Kreuz schauen.
Die Enden mit den Zeichen der vier Erzengel sah ich überhaupt nicht. Mich interessierte nur das L in der Mitte. Es wirkte auf meinen Blick wie ein Magnet. Magisch blieben die Augen daran hängen.
Es war vorbei.
Die andere Seite hatte das Unwahrscheinliche geschafft und das Kreuz so manipuliert, daß es mir, seinem Erbe und Besitzer, wahrscheinlich nicht mehr gehorchte.
Und das empfand ich als so schlimm.
»Hat es überhaupt noch Sinn?« fragte ich.
»Wie meinst du das?«
Ich schaute Suko ins Gesicht. Er schien zu wissen, was ich fragen wollte, dennoch ließ ich nicht locker. »Ich meine, ob sich der Kampf überhaupt noch lohnt.«
»Natürlich«, erwiderte er. »Immer lohnt es sich. Darauf kannst du dich verlassen.«
»Ohne die Waffe?«
»Noch hast du sie!«
Ich nickte. »Klar, ich habe sie, doch ich glaube kaum, daß ich sie gegen die Kräfte der Hölle einsetzen kann. Die sind einfach zu stark, zu hart, und sie haben das geschafft, von dem sie schon sehr lange träumten. Das Kreuz befindet sich unter ihrer Kontrolle. Gleichzeitig haben sie auch mich. Wenn es mit ihnen eine Verbindung eingegangen ist, sind sie genau über unsere Schritte informiert. Es wäre nicht nur sinnlos, sondern auch gefährlich, das Kreuz zu tragen.«
»Was meinst du damit?«
Meine Wangenmuskeln zuckten, das Gesicht nahm dabei einen harten Ausdruck an. »Was ich damit meine, liegt doch auf der Hand. Ich brauche es nicht mehr. Suko…«
»Vorsicht, Vorsicht, John! Mach jetzt nichts Unüberlegtes.«
»Das ist nicht unüberlegt. Ich will es nicht mehr haben.« Mein Lachen klang rauh und traurig. Die Hand hatte ich zur Faust geballt, und ich hob den rechten Arm, wobei er gleichzeitig eine Wurfhaltung einnahm. Wir standen hier auf dem Dach eines Hochhauses.
Wenn ich das Kreuz über den Rand warf und es in der Tiefe verschwand, konnte es meinetwegen jeder Penner nehmen.
Mein Arm zuckte nach hinten und wieder vor.
Noch schneller war Suko. Seine Hand schoß in die Höhe. Bevor ich das Kreuz quer über das Dach und in die Tiefe werfen konnte, hatte mein Freund schon zugegriffen. Ich fühlte mein Gelenk wie von einer Stahlklammer umfaßt.
Gleichzeitig drückte Suko meinen Arm nach hinten und drehte ihn herum. Er war sich seiner Sache sicher, und ich mußte der Bewegung folgen, wollte ich nicht den Arm gebrochen
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