0359 - Meine Henkersmahlzeit
da waren wir auch wieder angefahren.
Ich hielt nicht genau dort, wo auch das Taxi gehalten hatte, sondern fuhr ein kleines Stück weiter, bevor ich stoppte.
»Und jetzt?« fragte mein Vater.
»Schaue ich mir an, wohin die Madame gegangen ist.«
»Soll ich warten?«
»Es wäre nicht schlecht. Man weiß ja nie, was noch alles auf uns zukommt. Bei dir bin ich mir vor keiner Überraschung sicher.«
Ich schaute auf die Uhr. »Paß auf, Dad, wir machen es so. Wenn ich in einer Stunde nicht zurück bin, alarmierst du die Kollegen. Dann sitze ich wahrscheinlich in der Tinte.«
»Mach ich.«
Ich stieg aus. Zum Glück waren die Fußspuren der Frau noch zu sehen, der Schnee hatte sie nicht verweht. Über einen Straßengraben sprang ich hinweg, schaute mich noch einmal um und erkannte, daß sich die Umrisse des Bentleys im Schneegestöber auflösten. So dicht fielen inzwischen die weißen Flocken.
Ich kam mir vor wie auf einem fremden, kalten Planeten ohne Sonne. Wo ich auch hinschaute, nur die weißen, tanzenden, wirbelnden Flocken, die wie kleine Nadeln stachen, wenn sie meine warme Gesichtshaut trafen und dort wegtauten.
Das Bild änderte sich ein wenig. Ohne es eigentlich gewollt zu haben, hatte ich den normalen Weg verlassen und war in das freie Gelände geraten, wo meine Füße tief in dem jungfräulichen Schnee versanken.
Ich befand mich nicht auf dem freien Gelände, denn zu beiden Seiten erschienen lange Buschzweige, die mich an dicht beieinander stehende frierende Menschen erinnerten und manchmal gegen meine Kleidung schlugen, wenn ich sie zu nah passierte.
Wo sich der Weg befand, wußte ich nicht. Ich drückte mich durch einen Busch, bewegte dabei die langen Zweige, die ihre Schneehauben auf mich entluden. Den Blick hielt ich nach unten gerichtet. Fußspuren sah ich keine mehr.
Dafür Umrisse.
Verwaschen und verschwommen schälten sie sich aus dem Schneewirbel hervor. Zu identifizieren waren sie kaum. Erst beim Näherkommen stellte ich fest, daß die Umrisse gut zu einem Haus gepaßt hätten.
Und so war es auch.
Wenige Schritte später hatte ich die Hauswand erreicht und drückte mich dagegen. Der Wind hatte Schnee dagegen geweht. Er war regelrecht festgeklatscht worden und klebte daran wie schwere graue Pappe. Ein Fenster entdeckte ich nicht in der unmittelbaren Nähe und ging deshalb davon aus, daß ich zumindest an der Seitenwand des Gebäudes gelandet sein mußte.
Auch von Mrs. Anderson hatte ich keine Spur entdeckt. Wahrscheinlich war sie bereits in dem Gebäude verschwunden, das bei dem dichten Schneefall wie ein geheimnisvolles Zauberschloß wirkte.
Abermals fand ich den Weg nicht. Ich mußte über das normale unebene Gelände laufen, trat mal in Löcher, zog mein Bein wieder hervor und ackerte mich weiter voran.
Irgendwann, als ich die Hausecke umrundet hatte, stand ich vor der Eingangstür. Zwar hatte auch sie Schnee abbekommen, das dunkle Holz allerdings überwog bei ihr.
Vergeblich suchte ich nach einer Klingel. Wer hier wohnte, der konnte auf so etwas verzichten.
Die Schneekörner peitschten gegen meinen Nacken und in den Rücken. Mittlerweile hatte ich kalte Hände bekommen, die Finger wurden steif, das war nicht gut.
Ich legte die rechte Hand auf die Türklinke, drückte sie nach unten und hatte eigentlich nicht damit gerechnet, daß offen war. Um so überraschter reagierte ich, als sich die Tür nach innen öffnen ließ.
Ein Flur nahm mich auf. Wärme drang mir entgegen. Ich empfand sie nach der Kälte als unnatürlich, und der auf meinen Haaren liegende Schnee begann zu tauen. Als Wassertropfen lief er in meinen Nacken und rann auch den Rücken hinab.
Am Ende des Flurs brannte Licht. Ich entdeckte die Umrisse mehrerer Türen. Wer in diesem Haus lebte, mußte es umgebaut haben.
Vorsichtig ging ich weiter. Der Schnee taute immer stärker. Das Wasser tropfte zu Boden, ich aber hatte das Gefühl, in eine andere Welt zu kommen.
Das gesamte Haus kam mir unnatürlich vor.
Was lauerte hinter den Türen? Wo steckte Mrs. Anderson? Was hatte sie hier überhaupt zu suchen?
Fragen, auf die ich eine Antwort finden mußte. Zudem war ich sicher, sie hier bekommen zu können, denn ich fühlte, daß ich dicht vor einer Lösung stand.
Die erste Tür passierte ich. Sie war verschlossen. Ich überwand mich selbst und öffnete sie nicht. Nach den nächsten drei Schritten hatte ich die zweite Tür erreicht.
Sie stand offen.
Bevor ich sie mit meinem Umriß noch verdunkeln konnte, erreichte ein
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