0370 - Alptraum-Comic
trockenen Hals, als ich darüber nachdachte. Als Realist mußte ich einsehen, daß mir noch eine Galgenfrist gewährt wurde. Der andere wollte noch mit einer Überraschung für mich aufwarten. Diese Dinge, wie der Angriff der Katze, waren möglicherweise nicht mehr als eine magische Spielerei.
Also weiter.
Diesmal nahm ich die Treppe nicht so vorsichtig. Verstaucht hatte ich mir bei dem Fall auch nichts. Im Laufe der Zeit bekommt man so etwas wie eine zweite Haut, Blessuren gehören eben zum Job.
Diesmal hielt mich niemand auf. Mit wenigen Schritten ließ ich die Treppe hinter mir und stand in einem Gang, der große Ähnlichkeit mit dem in der unteren Etage hatte.
Türen sah ich ebenfalls.
Diese waren verschlossen. Direkt über mir hing wieder eine Laterne, die einen sanften, weichen Schein verbreitete und den Gang fast bis zu seinem Ende ausleuchtete.
Außer mir hielt sich niemand auf.
Dafür stand ich unter Beobachtung, da mich mein Gegner wieder ansprach. »Sinclair, du bist da…«
»Das sehe ich.«
»Sogar fast am Ziel«, hörte ich ihn. »Nicht mehr lange, dann wirst du die Überraschung deines Lebens bekommen.«
»Mich kann nichts mehr überraschen«, erwiderte ich. »Wer meinen Job hat, der ist vieles gewohnt.«
»Aber nicht diese Dinge.«
»Ich gebe zu, daß mir die Welt seltsam vorkommt. Dämonia ist außergewöhnlich, da hat der Teufel etwas geschaffen…«
»Nicht der Teufel, Sinclair. Ich war es. Ich habe diese Welt geschaffen. Nach meinen Träumen und den Angaben des Höllenherrschers. Fast ein ganzes Menschenleben habe ich warten müssen. Als junger Mann wußte ich schon, daß ich vom Herrn der Hölle ausgesucht worden war, seinen Willen in die Tat umzusetzen. Nun habe ich es geschafft. In einem Alter, wo andere schon längst Großvater sind.«
»Wir sind uns nie begegnet – oder?« fragte ich.
»Nein.«
»Wie lautet dein richtiger Name? HCP ist doch nur mehr eine Abkürzung oder nicht?«
»Ja, es ist die Abkürzung für Harold Cecil Painter. Ich war es, der dich lockte. Ich habe dafür gesorgt, daß du dich in deinen Wagen setzen konntest und mitten in der Nacht weggefahren bist, denn meine Welt wartete auf dich. Dämonia sollte dich aufsaugen, und Dämonia hat dich aufgesaugt…«
»Wo liegt sie?«
»Überall.«
»Das ist Unsinn!« widersprach ich. »In welcher Dimension kann ich Dämonia finden?«
»In meiner. Ich habe sie erstellt. Sie ist nicht existent. Sie liegt in keiner anderen Dimension, wie du es vielleicht vermutest. Es gibt sie nur auf dem Papier.«
»Wie?« fragte ich völlig konsterniert.
Ich hörte sein rauhes, gleichzeitig auch wissendes Lachen. »Ja, Sinclair, Dämonia existiert nur auf dem Papier. Und zwar auf einem besonderen Papier. Dämonia ist ein Comic, ein Alptraum-Comic, John Sinclair. Alles klar?«
Nein, mir war nichts klar. Ich wollte etwas hinzufügen oder fragen. Die Worte blieben mir im Hals stecken. Hatte er recht? War ich tatsächlich Gefangener in einer Comic-Welt?
Unvorstellbar.
Und dennoch, wenn ich näher darüber nachdachte, konnte das durchaus möglich sein, denn ich dachte wieder daran, wie schnell Gegenstände in dieser Welt verschwinden konnten.
Einfach ausradiert.
Und das mußte es auch gewesen sein. Dieser Harold Cecil Painter konnte seine Figuren zeichnen und sie ebenso rasch wieder verschwinden lassen. Nach Lust und Laune. Sie waren seine Geschöpfe und dämonisch belebt durch die Macht des Teufels.
Ein unglaublicher Vorgang, den ich erst einmal verkraften mußte.
»Na, wie siehst du deine Chancen?« hörte ich seine höhnische Stimme. »Viel kannst du nicht mehr erwarten.«
»Ich lebe noch.«
»Ja«, erwiderte er lachend. »Von meinen Gnaden, du kleiner Robin Hood. Ich habe lange genug warten müssen, einfach zu lange. Bereits als junger Mann war ich darüber informiert, daß du mir einmal über den Weg laufen würdest, obwohl du noch nicht geboren warst. Als ich anfing, meine Geschichte zu erfinden, war mir bereits bekannt, wer in meine Welt Dämonia hineintreten würde. Der Teufel weiß nicht alles, leider, aber er wußte genau, daß er einmal einen John Sinclair töten sollte. Ich habe gearbeitet und alles überwunden, was sich mir an Schwierigkeiten in den Weg stellte. Kein leichtes Leben liegt hinter mir. Ich habe manches Mal hungern müssen, doch nun stehe ich vor dem großen Erfolg. Ich, Harold Cecil Painter. Meine Bilder, von mir entworfen und gezeichnet, üben die Macht aus, die ich ihnen eingegeben habe. Sie
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