038 - Verbotene Sehnsucht
war seine Stimme ernst und klang in der Dunkelheit des Alkovens furchtbar vertraulich. „Ich weiß, dass du eine spitze Zunge und einen scharfen Verstand hast, der nicht immer nette Dinge denkt. Ich weiß auch, dass du das zu verbergen suchst und gern so tust, als wärst du wie die anderen eleganten Damen - ein köstliches, kleines Baiser: zuckersüß und nichts als Luft."
„Eine Dame sollte süß und köstlich und nichts als Luft sein", flüsterte sie gereizt zurück. Schrecklich, dass er all das über sie wusste. Schlimmer noch als die Intimitäten, die man einander beim Liebesspiel enthüllte. Meist gelang es ihr, die Fassade zu wahren - zumindest hoffte sie, dass es ihr gelang. Eine Dame sollte lieblich und süß und ein bisschen arglos sein, kein spitzzüngiges Geschöpf, dem beständig kleine Bosheiten durch den Kopf gingen. Sie wusste selbst, dass sie zu stark, zu selbstständig, zu männlich war. Wahrscheinlich stieß ihn das ab.
„Gibt es denn auch Regeln dafür, wie eine Dame sein sollte?", flüsterte er an ihrer Schläfe. „Was man in diesem Land nicht alles beachten muss. Wie erträgst du das nur?"
„Ich ..."
„Ich mache mir nichts aus Süßem." Spürte sie da etwa seine Zunge in ihrem Ohr?
„Ich mag Saures. Ich mag das scharfe Prickeln im Mund, wenn man in einen grünen, zu früh gepflückten Apfel beißt."
„Von grünen Äpfeln bekommt man Bauchweh", murmelte sie an seiner Brust. Sie spürte, wie es ihr die Kehle zuschnürte, als sei sie den Tränen nah. Wie konnte er es wagen, sie so wehrlos zu machen? Einfach so ihre Grenzen niederzutrampeln? Ihre Fassade einzureißen, als wäre sie aus Pappmaschee.
Er lachte, und sie spürte das leise Beben seiner Brust bis hinab in die Zehenspitzen.
„Ich bekomme davon kein Bauchweh. Außerdem kann man mit ihnen den besten Apfelkuchen backen. Andere Äpfel sind zu süß, werden fades, weiches Mus, wenn man sie kocht. Aber ein grüner Apfel ...", seine Hand stahl sich zu ihren Röcken und begann sie zu raffen, „... ein grüner Apfel blüht dann erst so richtig auf. Heiß und köstlich, genau nach meinem Geschmack."
Er senkte seinen Mund auf ihren, und wieder war es um sie geschehen. Sein Geschmack war berauschend. Sie mochte sauer für ihn sein, doch er war für sie wie schwarzer Kaffee - dunkel, süß, stark ... und so männlich. Keuchend öffnete sie ihm ihren Mund, dürstete geradezu nach ihm. Dies würde das letzte Mal sein, ganz gewiss. Dann musste es mit diesem Wahnsinn endlich ein Ende haben. Doch jetzt ...
Jetzt drängte sie den Gedanken weit fort und ließ sich treiben im Meer ihrer Empfindungen, spürte seine Arme um sich, seine Zunge in ihrem Mund, seinen starken Körper.
Draußen im Flur erklangen schlurfende Schritte. Emeline riss sich los und würde wohl einen erschrockenen Laut ausgestoßen haben, wenn Samuel ihr nicht rasch den Mund zugehalten hätte.
„Hat sie jetzt völlig denVerstand verloren?", brummelte eine grantige Stimme auf der anderen Seite des Vorhangs. „In der Eingangshalle Tennis spielen! Zapperlott, wo kommen wir denn da hin?"
Dort, wo der Vorhang zwei Handbreit über dem Boden endete, sah Emeline ein großes Paar Schnallenschuhe auftauchen. In stummem Entsetzen schaute sie Samuel an. Doch der hielt ihr noch immer den Mund zu und schien eher belustigt, als er ihren Blick erwiderte. Grässlicher Mann! Finster funkelte sie ihn an. Hätte sie ihn schlagen können, ohne den Diener dort draußen auf sich aufmerksam zu machen, würde sie es getan haben.
„Viel zu tun haben sie ja nich' hier draußen", ließ sich nun ein zweiter Diener vernehmen. Seine Stimme war heller, fast fistelig, und er sprach etwas verwaschen, als hätte er getrunken. „Die feinen Herrschaften wollen sich eben vergnügen."
„Aber Tennis?", empörte sich der erste Diener. „Noch dazu im Haus? Warum können sie nicht einfach Karten spielen oder würfeln oder weiß der Teufel was machen?"
„Würfeln? Sei doch nicht blöd, Mann. Feine Herrschaften würfeln nicht."
„Warum denn nicht? Los, sag schon, was ist denn am Würfeln so schlimm?"
Emeline spürte Samuel vor unterdrücktem Lachen erbeben. Ihr war ja wirklich schleierhaft, was daran so lustig sein sollte. Die Angst, entdeckt zu werden, lähmte sie schier. Wütend schaute sie ihn an und bohrte ihm ihren Absatz in seine Mokassins. Kurz hatte es den Anschein, als verlöre er endgültig die Beherrschung.
Statt ihn zur Ernüchterung zu bringen, schien es ihn nur noch mehr zu belustigen,
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