038 - Verbotene Sehnsucht
seine Abwehr durchbrechen, wie er die ihre durchbrochen hatte. Ihnen blieb nur noch so wenig Zeit. „Warum all diese Mühe und Kosten darauf verwenden, diesen Mann aufzuspüren? Warum - nach all den Jahren?"
„Weil es mir möglich ist und anderen nicht."
„Wie meinst du das?", flüsterte sie.
Er ließ den Bettvorhang fallen und wandte sich ihr nun ganz zu. Kein Schutzpanzer, kein täuschender Schild verbarg mehr die Verzweiflung, die sie in seiner Miene sah.
„Die anderen sind tot. Sie sind alle tot."
„Aber Jasper ..."
Er lachte bitter. „Merkst du denn nicht, dass auch die Überlebenden tot sind?Vale mag lachen, trinken und den Narren spielen, so viel er will, aber du heiratest einen lebenden Leichnam, dessen sei gewiss."
Sie beschloss, sich seiner schrecklichen, bitteren Verzweiflung entgegenzustellen.
„Das wage ich zu bezweifeln. Jasper mag seine Dämonen haben, aber er lebt nicht nur, er ist lebendig. Und du hast ihn gerettet, Samuel."
Er schüttelte den Kopf. „Ich war nicht mal dabei, als er gerettet wurde."
„Du bist den ganzen weiten Weg gelaufen, um Hilfe zu ..."
„Ich bin weggelaufen", stieß er heiser hervor und ließ sie sogleich verstummen, denn sie hatte es ihn noch nie laut sagen hören. „Nach dem Überfall, noch mitten in der Schlacht, wurde mir klar, dass wir unterliegen, dass die Indianer uns bezwingen und die Überlebenden skalpieren würden. Wozu noch weiterkämpfen, dachte ich mir und habe mich versteckt. Und als sie Vale, Munroe, deinen Bruder und die anderen gefangen nahmen, bin ich einfach losgerannt."
Sie ging zu ihm und packte seinen Rock mit beiden Händen, spürte den rauen Wollstoff auf ihrer Haut. Sie reckte sich auf die Zehenspitzen und brachte ihr Gesicht dem seinen so nah wie nur möglich. „Du hast dich versteckt, weil du keinen Sinn darin sahst zu sterben. Du bist losgerannt, weil du das Leben der Gefangenen retten wolltest."
„Bin ich das?", flüsterte er. „Bin ich das wirklich? Das habe ich mir zwar die ganze Zeit eingeredet, dass ich um das Leben der anderen willen gerannt bin, aber vielleicht habe ich ja gelogen. Vielleicht bin ich einfach nur weggerannt, um mich in Sicherheit zu bringen."
„Nein." Verzweifelt schüttelte sie den Kopf. „Ich kenne dich, Samuel. Ich kenne dich.
Du bist gerannt, um Hilfe zu holen. Um sie zu retten. So einfach ist das, und dafür bewundere ich dich."
„Tust du das?" Eindringlich sah er sie an. „Und doch ist dein Bruder gestorben, ehe ich mit dem Lösegeld zurückkam. Ich habe ihn im Stich gelassen. Ich habe dich im Stich gelassen."
„Nein", stieß sie hervor. „Das darfst du niemals glauben." Und damit zog sie seinen Kopf zu sich herab.
Sie küsste ihn, versuchte, all ihre Hoffnung, all ihre widerstreitenden Gefühle und Gedanken in diese einfache Geste zu legen. Ihrer beider Lippen schmiegten sich aneinander, ihre Münder bewegten sich gemeinsam. Ein Kuss war etwas so Schlichtes, etwas, das so leicht zu geben war, aber sie wollte, dass dieser Kuss mehr war. Sie wollte Samuel wissen lassen, dass sie ihn nie - niemals - für einen Feigling gehalten hatte.
Sie wollte ihn wissen lassen, dass sie ihn liebte.
Ja, liebte. Ganz gleich, wen sie heiratete oder ob sie ihn jemals wiedersah, sie würde diesen Mann immer lieben. Ihn zu lieben entzog sich ihrer Kontrolle. Obwohl Samuel der falsche Mann zum Heiraten war, der falsche Mann, um den Rest ihres Lebens mit ihm zu verbringen, so konnte sie doch nicht anders, als ihn zu lieben.
Und so küsste sie ihn zärtlich, bewegte ihre Lippen so sanft wie möglich. An seinem Mund murmelte sie unzusammenhängende Liebkosungen, leckte schließlich, um ihn zu schmecken. Später würde sie sich an diesen Augenblick erinnern wollen, an seinen Geschmack, seine Lippen, daran, wie es sich anfühlte, Samuel zu küssen. Sie würde die Erinnerung für immer in ihrem Herzen bewahren.
Denn diese Erinnerung wäre das Einzige, was ihr von ihm bliebe.
Plötzlich packte er sie bei den Armen, und sie wusste nicht, ob er sie von sich stoßen oder an sich ziehen wollte. Panik stieg in ihr auf. Er durfte sie nicht verlassen, ehe sie ihm gezeigt hatte, dass sie ihn liebte.
„Bitte", murmelte sie an seinen Lippen.
Seine Finger schlossen sich fester um ihre Arme.
Sie wich zurück und sah ihm in die Augen. „Bitte. Lass mich."
Verwundert zog er die Brauen über den schönen kaffeebraunen Augen zusammen.
Sie drückte ihm beide Hände auf die Brust. Wenn er nicht wollte, würde sie ihn
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