0383 - Londons Gruselkammer Nr. 1
Sie wunderte sich nur über diesen Schein, der ihr nicht geheuer war, sich nicht aufhalten ließ, die Figuren berührte, die Nischen ausfüllte und alles mit einem gespenstischen Schein übergoß, der die Menschen und die Wachspuppen noch blasser und schrecklicher aussehen ließ, als sie es tatsächlich waren.
Uta Gerber bekam Angst. In Strömen rann ihr der Schweiß vom Körper. Sie fühlte das Ziehen im Magen, hörte die Schritte ihrer beiden Kinder, die näher kamen, und erinnerte sich erst jetzt wieder an die Worte des Mannes, der ihr erklärt hatte, daß mit seiner Magie alles möglich war. Er wollte eine Hölle aufmachen.
War dies der Beginn?
Noch standen die Figuren still. Die einzigen, die sich bewegten, waren Uta und ihre Kinder.
»Willst du weglaufen, Mutti?« fragte Edda.
»Nein, das hat wohl keinen Sinn. Man würde uns immer kriegen. Ich will sehen, ob es tatsächlich passiert.«
»Was passiert?«
Uta gab ihrem Sohn keine Antwort. Sie war viel zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt und schaute auf die kniende Frau, die am stärksten durch den leichenhaften Lichtschimmer aus der Finsternis geholt wurde. Deshalb war sie auch am besten zu erkennen.
Und sie bewegte sich zuerst. Fast hätte Uta aufgeschrien, als sie erkannte, wie die zusammengelegten Finger der Frau zuckten. Sie waren bisher gestreckt gewesen, nun krümmten sie sich und falteten sich ineinander.
Dann erhob sich die Frau.
Edda schrie leise auf. »Mutti, die geht ja weg…«
In der Tat schritt die jetzt lebende Wachspuppe aus der breiten Nische in den Gang, wo sie sich zielstrebig nach rechts wandte, als hätte sie von dort einen für sie hörbaren Befehl bekommen. Wenn sie sich bewegte, waren nur ihre Schritte zu hören, keine Geräusche, die vielleicht durch die Glieder verursacht wurden.
Sie ging sehr langsam. So schritt man entweder zur Hinrichtung oder zum Schafott.
»Da, der böse Mann!«
Uta vernahm die Stimme ihrer Tochter und drehte sich um. Mit dem bösen Mann war der Henker gemeint, und genau er rührte sich jetzt von seinem Platz.
Seine Hände hielt er noch so gekrümmt wie zuvor. Nur umfaßten sie nicht mehr den Griff der Richtwaffe. Sie waren leer, und das wiederum freute die Frau.
Der lebende Wachshenker kümmerte sich nicht um die drei Menschen. Er ging an ihnen vorbei, als wären sie nicht vorhanden.
Zwei zögernd gesetzte Schritte brachten Uta näher an ihn heran, aber sie folgte ihm nicht mehr, sondern blieb zurück, weil es keinen Sinn hatte, sich in eine noch stärkere Gefahr zu begeben.
Zudem sah sie auch in den anderen Nischen Bewegung. Zum Glück konnte sie nicht genau erkennen, was sich dort abspielte, denn da mußten die Geköpften aufstehen, die grausam Umgebrachten, und sie vernahm sogar das Knarren der Streckbank und das Rasseln schwerer Eisenketten.
Der Mann hatte von einer Hölle gesprochen.
Uta Gerber und ihre Kinder befanden sich mitten darin!
***
Suko war froh gewesen, daß sein Freund noch einmal zurücklief. So konnte er schon mal die unheimlichen Gewölbe betreten. Er wußte, daß es nicht so korrekt war, was er tat, doch ihm blieb keine andere Möglichkeit mehr. Zu sehr hatte sich Suko auf den Killer Kamikaze fixiert. Dieser Mensch war für ihn zu einem Alptraum geworden, und so etwas hatte der Inspektor noch nie in seinem Leben erlebt.
Das war einfach furchtbar. Zum erstenmal hatte Suko bei einem Menschen seine kühle und anerzogene Beherrschung verloren.
Am Eingang standen noch einmal die Warntafeln. Menschen mit schwachen Nerven sollten die Gewölbe auf keinen Fall betreten, weil die Szenen einfach zu echt wirkten. Suko war zwar noch nicht unten gewesen, vorstellen konnte er es sich gut. Die Tür, die er öffnen mußte, knarrte bereits, und er sah vor sich eine leicht gebogene Steintreppe, über die ein typisch feuchter Keller- und Modergeruch strich.
Vorsichtig ging er die Stufen hinab. Sie bestanden nicht aus einer Platte, sondern jeweils aus zwei Steinen, die nebeneinandergelegt worden waren.
Licht war ebenfalls vorhanden, über der Treppe klebten in der Decke kleine Lampen, die einen senkrecht fallenden und dennoch weichen Schein in die Tiefe warfen.
Wieder entdeckte Suko Pfeile und Hinweisschilder. Es war für den Besucher besser, den Pfeilen zu folgen, denn diese zeichneten den Rundgang nach, der durch die Geschichte der englischen Insel führte.
Schon die ersten Szenen waren schrecklich genug. Da hielt man es mehr mit der Mythologie als mit der Geschichte, denn
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